Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)
diese Liebe im Weltenraume im Einzelnen offenbart, das ist unsern schwachen Augen verborgen; wir können nur ihr irdisches Wirken erforschen und betrachten und werden ihr im Folgenden auf den verschiedensten Gebieten des menschlichen Lebens und Strebens begegnen, um zu bemerken, daß auch hier sie allein das Princip alles Seienden und Geschehenden bildet.
Liebe und Glaube
»Nun aber sind Glaube, Liebe und Hoffnung, diese drei, aber die Liebe ist die größeste unter ihnen,« sagt der Apostel. Ja, die Liebe ist nicht nur die größeste unter ihnen, sondern sie enthält die beiden anderen in sich selbst.
Die Ueberzeugung von Gott und einer in Gott gegründeten Weltordnung, zu welcher auch der Mensch gehört, hat auf sein Denken und Handeln den entschiedensten Einfluß. Jeder wird unwillkürlich zu dieser Ueberzeugung geführt durch das sich ihm frühzeitig aufdringende Gefühl seiner Schwäche und der Schranken, welche ihm gezogen sind. Indem er bald erfährt, wie weit ihm die Kräfte der Natur überlegen sind, fühlt er sich von Furcht und Angst ergriffen. Indem er höhere Wesen ahnt und nach seiner unvollkommenen Naturkenntniß annimmt, daß die Kräfte der Natur durch Wesen dieser Art in Bewegung gesetzt werden, geht sein Staunen über fürchterliche Gewitter, gewaltige Stürme, zerstörende Erderschütterungen etc. in Anbetung ihm unbekannter Wesen über, und die aufgeregte Phantasie erkennt in jenen Naturerscheinungen diese Wesen selbst oder verwechselt und vermischt beide mit einander.
Da das sittliche Bewußtsein in einem jeden Men schen bald rege wird und er daher sein moralisches Verhalten frühzeitig mit seinen Schicksalen in Verbindung zu bringen lernt, so bildet sich die Idee nicht blos von der Nothwendigkeit, jene Wesen sich durch Verehrung geneigt zu erhalten, sondern auch wegen begangener Uebertretungen zu versöhnen.
Auch die Vernunft des gebildeten Mannes erkennt das Wahre dieser Idee an, und indem sie sich zu dem Begriffe eines einigen göttlichen Wesens erhebt, welches sie als den höchsten Geist betrachtet, erkennt sie in demselben, zugleich alle Vollkommenheiten seines eigenen geistigen Wesens in höchstem Grade auf ihn übertragend, den höchsten Gesetzgeber und Richter der sittlichen Wesen an, dem dieselben Anbetung und Ehrfurcht schuldig sind.
So entsteht der Glaube an das Ewige, an Gottheit oder Götter, in welchem der Mensch seine Gesinnungen und Handlungen in Ehrfurcht und Anbetung auf Gott bezieht, wie selbst die heilige Schrift darauf hindeutet. Dadurch wird die Religion einem jeden Menschen ein unabweisbares Bedürfniß und geht aus dem Innersten seiner höheren Natur hervor, welche ihn, der er zu einer höheren Bestimmung erschaffen ist, zur Erkenntniß und Verehrung seines Schöpfers, Gesetzgebers und Richters hinführt.
Die Religion bezieht sich sowohl auf die ursprünglichen oder reinen Vorstellungen der menschlichen Vernunft vom Absoluten, Göttlichen, Ewigen, welche unmittelbar aus dem Geiste entspringen und als in jedem Menschen vorhanden anzunehmen sind, als auch auf die besonderen empirischen Vorstellungen, welche der Religionslehre ihre eigenthümlichen Auffassungsweisen verleihen.
Eine vollständige und wahrheitsgetreue Darstellung der Entstehung des Wachsthums und der Fortbildung der Religion unter den verschiedenen Völkern und in ihren verschiedenen Formen ist ebenso nothwendig wie schwierig, theils weil die Entstehung der Religion sich tief in das Dunkel der Vorzeit verliert, theils weil sie einen so großen Apparat historischer und philosophischer Kenntnisse voraussetzt, daß die Aneignung derselben die Kraft eines einzelnen Menschen weit übersteigt, selbst wenn er der Begabteste seines Geschlechtes wäre.
Die Religionsphilosophie enthält die wissenschaftliche Darstellung und Nachweisung der ewigen Ideen, worauf jede Religion oder die Religion im Allgemeinen ruht, also die letzten Vernunftgründe aller Religion, sowie die Entwickelung derselben zu einer philosophischen Religionslehre.
Die Philosophie hat die Lehren der Religion nicht nur zu begründen, sondern auch zur höchsten Klarheit und Deutlichkeit vor dem Bewußtsein zu entwickeln und die Pflichten der Religion in ihrem ganzen Umfange darzustellen.
Sie begann von dem Urgrunde allen Seins, und es ist aus diesem Grunde nicht zu verwundern, daß sie sich leicht in leere Träumereien und unstatthafte Speculationen verlor, weil sie sich zur Erkenntniß des Absoluten nicht zu erheben vermag, ohne
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