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Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Karl May Band II (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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nahm. Doch wußte er auch in diesen Verhältnissen sich mit seiner gewöhnlichen Klugheit zu benehmen.
    So berichtet uns die heilige Schrift, daß zwei öffentliche Buhlerinnen, welche in einem Hause wohnten, gleichzeitig Knaben zur Welt brachten, von welchen der eine starb. Die Mutter des todten Kindes legt dasselbe in den Arm der schlafenden Genossin und nimmt das lebende an sich. Bei dem hieraus entstehenden Streit über das Mutterrecht, wenden sich beide mit dem freien Geständnisse ihres Gewerbes zu dem Throne des Königs. Salomo befahl, das lebende Kind mit dem Schwerte zu zertheilen, worauf sich das eine der Weiber flehend zu seinen Füßen wirft, während das andere auf Vollziehung des Richterspruches besteht. Die wahre Mutter ist entdeckt und Salomo’s weises Urtheil durchschallt ganz Israel.
    Merkwürdig ist es, daß man in der ganzen mosaischen Gesetzgebung weder die That, noch die Strafe des Kindermordes findet, was zu der Annahme berechtigt, daß selbst unter den Buhlerinnen damaliger Zeit die Mutterliebe sehr stark gewesen sein muß.
    Daß durch die geschlechtlichen Ausschweifungen schon damals die Syphilis sehr stark gewüthet haben muß, beweisen die Klagen des königlichen Psalmendichters, welcher sich über die Krankheiten beschwert, mit denen man in den Armen einer Buhlerin beschenkt würde.
    Vergeblich thaten die wenigen Weisen des Volkes alles Mögliche, der zügellosen Lasterhaftigkeit Einhalt zu thun, welche in den Palästen mit frecher Stirn triumphirte, und von hier aus die Hütten des Volkes vergiftete; ihre warnenden Stimmen verhallten ungehört und mit Riesenschritten nahte die Nation sich ihrem Untergange und sank unter das Joch assyrischer und babylonischer Knechtschaft.
    Nacht, tiefe und finstere Nacht war es da über dem Volke Israel; sie verirrten sich in dieselbe Dunkelheit, in welcher die heidnischen Völker wandelten, aber ihr Irrthum führte zum Lichte. Es traten Seher und Propheten auf, welche ihre Stimmen erhoben, um auf den grauenden Tag hinzuweisen, welcher am Horizonte der Völker empordämmerte und die Schatten der Finsterniß verdrängte, die über der Erde lagen. Und nicht der Stern Jacobs war es, der diesen Tag brachte, denn nimmer vermag ein Stern sich vom lichten Tageshimmel sichtbar zu machen, sondern es trat jenes weltgeschichtliche Gesetz nach und nach in Geltung, welches aus dem harten Boden der Barbarei langsam aber sicher, nach und nach, die Blume der Bildung, der Civilisation erscheinen und empor blühen läßt, um endlich – wenn auch erst nach Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden die herrliche Frucht einer, ja alle irdischen Verhältnisse durchdringenden, belebenden und verschönernden Humanität reifen zu lassen.
    Schon in unserem nächsten Abschnitte werden wir sehen, wie diese Bildung Wurzel faßt und sich sogar der sexuellen Beziehung der Völker bemächtigt, sodaß die Priesterinnen der genießenden Liebe neben den Gebildetsten ihrer Nation als Jüngerinnen der Kunst und Wissenschaft glänzen.

Im Morgenroth
     
    Die Urzeit der Welt, der Nationen, der einzelnen Menschen ist sich gleich. Wüste, Leerheit umfängt Alles, der Geist jedoch brütet schon über Beweglichem und Gebildetem. Indeß die Autochthonenmenge staunend ängstlich umherblickt, kümmerlich das unentbehrliche Bedürfniß zu befriedigen, schaut ein begünstigter Geist in die großen Welterscheinungen hinein, bemerkt, was sich ereignet und spricht das Vorhandene ahnungsvoll aus, als wenn es entstünde. So haben wir in der ältesten Zeit Betrachtung, Philosophie, Benamsung und Poesie der Natur, Alles in Einem.
    Die Welt wird heiterer. Jene düsteren Elemente klären sich auf und entwirren sich: der Mensch greift nach ihnen, sie auf andere Weise zu bewältigen. Eine frische, gesunde Sinnlichkeit blickt umher, freundlich sieht sie im Vergangenen und Gegenwärtigen nur ihres Gleichen. Dem alten Namen verleiht sie eine neue Gewalt, anthropomorphosirt und personificirt das Leblose wie das Abgestorbene und vertheilt ihren eigenen Character über alle Geschöpfe. So lebt und webt der Volksglaube, der sich von allem Abstrusen, was aus jener Urepoche übrig geblieben sein mag, oft leichtsinnig befreit. Das Reich der Poesie blüht auf, und nur Der ist Poet, der den Volksglauben besitzt oder sich ihn anzueignen weiß. Der Character dieser Epoche ist freie, tüchtige, ernste, edle Sinnlichkeit, durch Einbildungskraft erhöht.
    Da jedoch der Mensch in Absicht der Veredelung seiner selbst keine Grenzen

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