Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
was sie mir geschildert worden war.
All diese Schilderungen galten seiner Armut. »Die Poesie des Verfalls liegt über dieser Stadt«, so hieß es voll dichterischen Ausdrucks, und die pittoresken Armutsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiseantrieb als die gleichzeitig wiederholten Versicherungen: »Aber Teupitz ist schön.« Diesen Refrain überhört ich oder vergaß ihn, während ich die Worte nicht wieder loswerden konnte: »Das Plateau um Teupitz herum heißt ›der Brand‹, und das Wirtshaus darauf führt den Namen ›Der tote Mann‹.«
Ich hörte noch allerhand anderes. Ein früherer Geistlicher in Teupitz sollte bloß deshalb unverheiratet geblieben sein, »weil die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne«, und ein Gutsbesitzer, so hieß es weiter, habe jedem erzählt: »Ein Teupitzer Bettelkind, wenn es ein Stück Brot kriegt, ißt nur die Hälfte davon; die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brot in Teupitz.« All diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich, halb in Scherz und halb in Teilnahme, gesagt: »Die Teupitzer sind doch meine Treusten; wären sie’s nicht , so wären sie längst ausgewandert.«
Dies und noch manches der Art rief eine Sehnsucht in mir wach, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armut, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Personal der Gesundheitspflege (wörtlich) »auf eine Hebamme beschränkt sei« und daß der Ertrag seiner Äcker eineinviertel Silbergroschen pro Morgen betrage. Angedeutet hab ich übrigens schon, und es sei hier eigens noch wiederholt, daß ich die Dinge doch anders fand, als ich nach diesen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien gibt, die, trotzdem sie längst leidlich wohlhabend geworden sind, den guten und ihnen bequemen Ruf der Armut durch eine gewisse Passivität geschickt aufrechtzuerhalten wissen, so auch die Teupitzer. Solche vielbedauerten »kleinen Leute« leben glücklich-angenehme Tage, und unbedrückt von den Mühsalen der Gastlichkeit oder der Repräsentation, lächeln sie still und vergnügt in sich hinein, wenn sie dem lieben alten Satze begegnen, daß »geben seliger sei denn nehmen«.
Um zwölf Uhr nachts geht oder ging wenigstens die Post, die die Verbindung zwischen Teupitz und Zossen und dadurch mit der Welt überhaupt unterhielt. Zossen ist der Paß für Teupitz: »es führt kein andrer Weg nach Küßnacht hin«.
Während der ersten anderthalb Meilen haben wir noch Chaussee, deren Pappeln, soviel die Mitternacht eine Musterung gestattet, nicht anders aussehen als andernorts, und erst bei Morgengrauen biegen wir nach links hin in die tiefen Sandgeleise der recht eigentlichen Teupitzer Gegend ein. Es ist ein ausgesprochenes Heideland, mehr oder weniger unsern Wedding-Partien verwandt, wie sie vor hundert oder auch noch vor fünfzig Jahren waren. Selbst die Namen klingen ähnlich: »Sandkrug«, »Spiesberg« und »der Hungrige Wolf«. Immer dieselben alten und wohlbekannten Elemente: See und Sand und Kiefer und Kussel; aber so gleichartig die Dinge selber sind, so apart ist doch ihre Gruppierung in dieser Teupitzer Gegend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends in geschlossenen Massen auf, nicht en colonne steht sie da, sondern aufgelöst in Schützenlinien. Und die Dämmerung unterstützt diese Vorstellung eines Heerlagers. Auf der Kuppe drüben stehen drei Vedetten und lugen aus, am Abhang lagert eine Feldwacht, und eine lange Postenkette von Kusseln zieht sich am See hin und reicht einem andern Lagertrupp die Hand. Dazwischen Sand und Moos und dann und wann ein Ährenfeld, dünn und kümmerlich, ein bloßer Versuch, eine Anfrage bei der Natur.
Inzwischen ist es am Horizont immer heller geworden. Das Grau wurde weiß, das Weiß isabell- und dann rosenfarben, und nun schießt es wie Feuerlilien auf. Der Sand verschwindet, Wasser- und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball hinter einem alten Schloßturm aufsteigt, fahren wir in die noch stille Straße von Teupitz ein.
Der Wagen hält vor dem »Goldnen Stern«, an dessen Laubenvorbau der Wirt sich lehnt, seines Zeichens ein Bäcker. Ich nehm es als eine gute Vorbedeutung, denn unter allen Gewerksmeistern steht doch der Bäcker unserm innern Menschen am nächsten. Er weist mich auch freundlich zurecht; ein
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