Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
wachsen die Dörfer am Wege oder auf den Feldern auf und geben dadurch der Landschaft einen Charakter, der mehr an die niedersächsische Art, als an die slawische erinnert. Und doch ist die Aehnlichkeit nur landschaftlich, nur für das Auge da, keineswegs im Bebauungs- Prinzip . Die niedersächsische Art lehnt sich gegen das »geschlossene Dorf« auf, sie setzt die Theile über das Ganze, sie istder Gegensatz der städtebauenden Concentration, des Ringes, der Umzirkung, der Mauer. Niedersächsische Dörfer (wenn sie auch ihren festen Kern haben) liegen im Wesentlichen ausgestreut über die Feldmark da, ihr bester Theil sind die ausgebauten Höfe, die mit Wohnhaus und Stallgebäuden, mit Baumpartieen und Grenzweiden wiederum ein Dorf im Kleinen bilden. Nach diesem niedersächsischen Prinzip sind nun die böhmischen Dörfer keineswegs gebaut, im Gegentheil, der centrale Hang ist da, der Hang, sich um einen Mittelpunkt zu gruppiren, größere oder kleinere Gemeinheiten zu bilden. Es liegt aber auf der Hand, daß, wenn es aus diesem oder jenem Grunde nur zur Bildung kleinerer , sich auf kurze Strecken wiederholender Gruppen kommt, zuletzt Dörfer entstehen müssen, die in allem, was landschaftliche Erscheinung angeht, an die ausgestreuten, reichgegliederten niedersächsischen Gehöfte erinnern. Und das ist in der That der Fall. Die reiche böhmische Landschaft gewährt ein ähnliches Bild, wie ein Blick von den Oderhöhen, zwischen Freienwalde und Frankfurt in das reiche, wenigstens theilweise nach niedersächsischer Art bebaute Oderbruch hinein, – das Ganze ein Felderteppich mit Dörfern gemustert.
So viel über das, was die böhmischen Dörfer landschaftlich bedeuten. Es bleibt noch die Frage, wie wirken sie an und für sich, wie sind sie, wenn man in sie eintritt? Sie sind wenigstens besser als ihr Ruf. Es fehlen die massiven Häuser, mit stattlicher Vortreppe und gemauerter Veranda, es fehlen die Erkerthürme und die Balkone, ja es fehlt das Ziegeldach (wenigstens zumeist) und altmodisch sitzt die moosbedeckte Strohkappe auf dem niedrigen, kleinfenstrigen, aus Horizontalbalken aufgezimmerten Blockhause. Aber wenn man selten eine gefällige Neuschöpfung bemerkt, aus der einem (wasunsere Dörfer so sehr charakterisirt) ein rasch wachsender Fortschritt, oder jener beständige Entwicklungsdrang entgegentritt, der heute schon über das hinaus will, was gestern noch gut war, – ich sage, wenn man diesem Eindruck des Prosperirens auch selten begegnet, so begegnet man doch auch nicht gerade seinem Gegentheil. Es fehlen die Bilder des Reichthums, aber doch auch die der Armuth, und selbst das Betteln, das darauf hindeuten könnte, macht mehr den Eindruck einer schlechten Gewohnheit, eines schlaraffenhaften Hinschleppens der Tage, als wirklicher Noth und Verkommenheit. Vielleicht hat mich das Malerische, das in diesem schönen Lande allem wie eine unveräußerliche Mitgift anhaftet, über das Maß dieser Noth getäuscht und die weinumrankten, aus dem Grün zahlloser Obstbäume hervorschimmernden Häuser und Hütten, dazu die graziösen, halb bekleideten Frauen- und Kindergestalten, haben mich, weil sie meinem Auge ein gewisses künstlerisches Genüge thaten, möglicherweise über manches Elend hinwegsehen lassen, das nichtsdestoweniger vorhanden war. Möglich das alles, aber doch nicht allzu wahrscheinlich. Ich entsinne mich, an den Frauen und Kindern des schottischen Hochlandes auch ein malerisches Gefallen und doch (weit mehr als hier in Böhmen) den vollen Eindruck äußersten Elends gehabt zu haben. Die Bestechungskraft des Pittoresken hat ihre Grenzen.
Malerisch wie die böhmischen Dörfer sind auch die böhmischen Städte . Daß sie klein sind, thut ihnen keinen Abbruch. Mit Ausnahme von Prag und Reichenberg werden sich wenige bis über zehntausend Einwohner erheben; die meisten bleiben weit unter fünftausend. Sie sind klein, aber sie sind nicht unbedeutend. Im Gegentheil, alle sehen nach etwas aus, und der »Ring« auchdes kleinsten Städtchens, macht in der Regel einen großstädtischen Eindruck. Hier stehen Kirche und Rathhaus, in der Mitte erhebt sich eine Mariensäule, und Arkaden oder »Lauben« (nach Art unserer ehemaligen Stechbahn) umziehen den Platz, dadurch den stattlichen Eindruck des Ganzen steigernd. Man empfindet etwas von einer alten Kultur; alte Zusammenhänge mit dem Süden, mit Italien werden sichtbar.
An diesem »Ring« befindet sich denn auch der Hostinec, der Gasthof. Wie alles in diesem
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