Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Lande typisch ist, so auch das Gasthaus. Es ist groß, geräumig, ein breiter Flur scheidet links das Gastzimmer von der rechts gelegenen Küche, deren Herdfeuer beständig brennt und deren Dampf und Fettwrasen das Haus durchzieht. Küchengeheimnisse kennt der Hostinec nicht; wer nicht dem Brodem abmerkt, was es giebt, dem sagt es das Auge, denn das Backen und Braten, selbst der mißliche Prozeß des Wurststopfens, alles vollzieht sich vor dem Auge des Gastes und zwar mit einer gewissen Ostentation, die besagen will: »hier bin ich; ich habe das Licht des Tages nicht zu scheuen.«
So interessant wie die Küche ist auch das Gastzimmer. Meist durch die ganze Tiefe des Hauses sich ziehend, ist es nach vorn hin sonnig, nach hinten zu dunkel und schattig. Man sucht sich helle und dunkle Plätze, je nach Gefallen. Breite lederüberzogene Bänke laufen an den Wänden hin und feste, mächtige Tische stehen davor. Alles, ohne geradezu unsauber zu sein, hat jenen verräucherten Ton, jene ihren Bestandtheilen nach noch nicht genau untersuchte Patina, die einem Gastzimmer so wohl kleidet, es so behaglich macht. Und auf dies Behagen kommt Alles an. Unseren großstädtischen Gasthäusern fehlt alles das, was wohltut, auf die beklagenswertheste Weise; sie geben uns Flitter, dürftige Brocken,hohe Rechnungen und bieten uns eigentlich nichts, als die »Ehre«, bei ihnen zu Gast gewesen zu sein. Wer nicht auf den Höhen der Menschheit wandelt, bringt es über das Gefühl eines bloßen Geduldetseins nicht hinaus; er mag von Glück sagen, wenn er Artigkeit findet, Behagen findet er sicher nicht. Behagen aber ist in einem Hostinec. Von »Eleganz«, diesem Schreckensartikel, keine Rede; es fehlen die gestickten Gardinen, es fehlen die Goldleisten, es fehlen die Anstands- und Repräsentationsbilder. Statt dessen hängen die schlecht kolorirten Nachbildungen französischer Soubretten (schlimmerer Worte zu geschweigen) an den Wänden und wenn auf dem Bilde: »die Schlummernde« die Kostümfrage nach oben zu so gut wie völlig erledigt ist, so giebt auf dem Bilde Le tourbillon der sich in den Kleidern verfangende Wind eben dieser Frage eine fast noch bedrohlichere Bedeutung. Alles dies ist nicht elegant, kaum anständig, aber es paßt zum Ganzen und stimmt trefflich zu dem langen halbdunklen Tisch, von dessen unterem Ende eben die Ungarweinflaschen fortgeräumt werden, um einer dampfenden Glühwein-Bowle aus Melniker und rothem Ober-Ungar Platz zu machen.
Die ewige Klage, der man begegnet, ist die Unsauberkeit . Nun denn auch darüber ein Wort. Es hat mit dieser Klage seine Richtigkeit, aber es kommt darauf an, wer sie vorbringt. Ich habe sie von Seiten gehört, wo sie nichts anderes war als Ungerechtigkeit und Ueberhebung. Wer die Sauberkeits-Vorstellungen eines siebenmal gewaschenen Engländers mitbringt, wer nie anders gereist ist als zwischen Homburg und Baden-Baden, oder zwischen Genf und Interlaken, der mag in einem Hostinec in Klagen und Verzweiflung ausbrechen, wer aber seine Touren zwischen Beeskow-Storkow und Finsterwalde, und zwar zu seiner Zufriedenheit gemacht hat, der hat kein Recht, sich in einem böhmischen Hostinec an den Grenzen aller Kultur zu glauben. Im Gegentheil. Die Verpflegung ist im Großen und Ganzen vorzüglich und jedenfalls besser, als in den kleinen Städten unserer alten Provinzen. Kaffee, Weißbrot, Butter sind gut, die »Kipfel« eine Delikatesse; der Thee (dies vornehme Getränk, das so wenige zu bereiten verstehen) hält sich auf der Höhe wenigstens bürgerlichen Anstandes. Die Fleischspeisen passiren, Wildpret ist ausgezeichnet. Die Art des Servirens erregt Bedenken, was nicht ganz bestritten werden soll. Das Tischzeug kommt weniger aus dem Schrank als aus der »Presse«, Messer und Gabel spotten des Versuchs, den fork and knife -Kultus der Engländer mit ihnen durchzuführen; der Wasser- und Handtuch-Luxus ist noch unbekannt und das Ein-Waschbecken-Prinzip wird noch in rigoroser Weise aufrecht erhalten. Aber wie lange ist es denn her, daß wir dieses Prinzipes los und ledig geworden sind? und wie viele kleine Städte giebt es überhaupt, die siegreich damit gebrochen haben?
Bleibt als letztes – die Bettfrage . Hiermit steht es nun freilich schlimm; aber – wo stünd’ es besser? Wo sind die Betten, angesichts deren das »gute Nacht« des sich zurückziehenden Hausknechts nicht zu einer blos schabernackschen Bemerkung würde, wo sind die Ruhekissen, die wirklich Ruhe verheißen, wenn nicht das
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