Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Geschichte wurde seitens der Tunnel-Liberalen eine große Sache gemacht; »da sähe man’s – ein Mann von Ehre dürfe sich so nicht behandeln lassen.« Etwas Dümmeres ist kaum denkbar. Daß einem gesagt wird: »Hören Sie, heute können wir Sie nicht brauchen, heute geht es nicht«, – das passiert einem im Leben in einem fort, das muß sich der Beste gefallen lassen. Und nun gar in dienstlicher Stellung und bei Hofe! Sonderbar, die Menschen Verlangen immer moralische Heldentaten, solange sie persönlich nicht »dran sind«. Alle die, die verächtlich von ihm sprachen, hätten sich bei Hofe viel, viel mehr gefallen lassen. Aber das wurde natürlich bestritten, und so kam es denn, daß man ihm Servilismus vorwarf, während doch seine ganze Haltung lediglich darauf hinauslief, daß er seinem König und nächst diesem – oder vielleicht auch über diesen hinaus – dem russischen Kaiserpaare eine Sonderstellung einräumte. Sonst war ihm »devotestes Ersterben« vor Hoch- und Höchststehenden etwas ganz Fremdes, so fremd, daß er sich umgekehrt – zum Beispiel im Gespräch über Prinzen – zu wahren Ungeheuerlichkeiten hinreißen ließ. Er ging darin so weit, daß er dem Potsdamer »Kasino«, darin er eine hervorragende Rolle spielte, durch seine niemand schonenden Zynismen gelegentlich recht unbequem wurde.
Sein hervorstechender Zug war, in vollstem Gegensatz zu Kriechen und Bücklingmachen, ein großer persönlicher und moralischer Mut. Als sich 48 alles verkroch, er war da, nicht um in Halbheiten sich durchzuwinden, sondern immer voran und immer freiweg. So war es, als man ihm im Theater – er nahm nach jenem Abend einfach seinen Abschied – eine Niederlage bereiten wollte, so war es, als man ihm die Landwehrleute auf den Hals hetzte. Da hatte man sich aber in ihm und schließlich auch in den Landwehrleuten geirrt. Statt sich klein zu machen oder zu drücken, stieg er auf dem alten Posthof in der Spandauer Straße, wo man ihn umringt haben mochte, auf eine dort zufällig haltende Postkutsche, machte das Deck derselben zu seiner Kanzel und donnerte von da dermaßen herunter, daß alle die, die gekommen waren, ihn zu verhöhnen oder zu insultieren, ihn im Triumph durch die Straße trugen. Er hatte ganz wundervoll den Ton weg, richtige Berliner Landwehrherzen zu treffen.
Ich komme, bevor ich von meinen persönlichen Beziehungen zu ihm spreche, hier noch einmal auf seine Stellung in unserem Verein zurück. Eine lange Zeit hindurch, wie schon eingangs erzählt, war er im Tunnel nicht mehr und nicht weniger als alles. Er herrschte, weil er passioniert war und nicht bloß ein Herz für die Sache, sondern auch noch allerlei andre hochschätzbare Vereins- und Gesellschaftsgaben mitbrachte. Nur freilich an der hochschätzbarsten Gabe gebrach es ihm völlig. Er stand einer Poetengesellschaft vor, ohne selbst auch nur das geringste von einem Poeten an sich zu haben. Charakteristisch für einen Dichter wird es meist sein, wie er sich zu Mitdichtern, auch zu ganz kleinen und unbedeutenden, zu stellen weiß. Lenau, als ihm eine Kellnerin im Café Daum einige von ihr verfaßte Gedichte schüchtern überreichte, trat von dem Augenblick an in ein ganz neues Verhältnis zu ihr und behandelte sie, weil er seiner Natur nach nicht anders konnte, mit zartester Rücksicht. Er sah in ihr immer eine Kollegin; von Gleichgültigkeit oder gar Überhebung keine Spur. Louis Schneider dagegen verfuhr sehr anders – er war eben kein Lenau. Damals kam es noch vor, daß blutarme junge Dichter ihre Dichtungen in einer kleinen Stadt auf eigene Kosten drucken ließen und nun, dies ihr Heftchen anbietend, bei ihren Mitdichtern um eine Wegzehrung baten. Auch zu Schneider kamen solche wenig Beneidenswerte. Schneider gab ihnen dann das Heftchen zurück, in der ihm eignen Berliner Sprechweise hinzufügend: »Ich pflege mir meinen kleinen Bedarf selbst zu machen.« Aber das war ihm noch nicht genug; er begleitete diese gemütlich sein sollenden Worte regelmäßig mit einer minimalen Geldgabe, hinsichtlich deren er dann strahlenden Gesichts die Versicherung abgab, »sie sei noch nie zurückgewiesen worden«. Ein häßlicher Zug. Und doch war er ein gütiger Mann, der vielen Hülfsbedürftigen tatsächlich ein echter und rechter Helfer gewesen ist. Er war nur nicht gewinnend in seinen Formen, die, trotzdem er einer Dichtergesellschaft präsidierte, der wahre Musterausdruck äußerster märkischer Prosa waren. Er litt an dieser Prosa wie an einer
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