Delphi sehen und sterben
hinter ihm herkam, flitzte er wieder hügelaufwärts, sauste zwischen zwei weiteren, von Königen gekrönten Säulen hindurch und auf etwas zu, das wie ein schicker Portikus aussah. Die Säulen waren mit Mauern aufgefüllt worden. Gebremst durch diese solide Barriere, wandte er sich nach links. Ich erwischte ihn beinahe beim Grab des Neoptolemos, des Sohns von Achilles. So nahe war ich den Helden Homers noch nie gewesen, und mir entging die Bedeutung. Egal. Neoptolemos war tot, getötet von einem Priester des Apollon (dessen Priester Musik und Kunst lieben, aber zähe Burschen sind) – und ich keuchte zu sehr, um viel Wert darauf zu legen.
Drei über eine Reisebeschreibung gebeugte Frauen blockierten den freien Platz neben einer mit Blumenornamenten verzierten Säule, die ein Tänzerinnentrio stützte; ich schlitterte um sie alle herum. Tempeldiener kamen mir bei der Kassotisquelle in den Weg; ich stürzte mich zwischen sie und stieß sie mit den Ellbogen beiseite. Ein dusseliger Mann bat mich, ihm die Säule von König Prusias zu zeigen; er stand direkt daneben. Statianus hatte sich durch all das hindurchgedrängt, aber als er an der Quelle vorbeirannte, wurde er von Helena angesprochen. Sie hatte beim Tempel gewartet, sah uns wieder auf sie zukommen und trat nun heraus, um unserer Jagdbeute Vorhaltungen zu machen. Statianus stieß sie beiseite. Sie verlor den Halt. Leute liefen herbei, um ihr aufzuhelfen, gerieten mir in den Weg, und Statianus verschwand mit großen Sprüngen hinter dem Tempel.
Helena war nichts passiert.
»Bleib hier …«
»Nein, ich komme mit …«
Ich rannte hinter ihm her. Ich hatte mich jetzt seinem Tempo angepasst. Ich war mehr als zehn Jahre älter, aber auch ich hatte meinen Anteil an Gewichttraining absolviert. Ich war kräftig gebaut, und es hatte mir noch nie an Durchhaltevermögen gefehlt. Ich hoffte, er würde als Erster ermüden.
Der Tempel des Apollon ist ein gewaltiger Bau und gibt eine dramatische Laufstrecke ab. Über uns befand sich das Theater, das auf eindrucksvolle Weise aus dem Bergfels gehauen worden war. Man erreichte es über eine sehr steile Treppe, die Statianus zu meiner Erleichterung außer Acht ließ. Am hinteren Ende des Tempels kamen wir an einem weiteren vollendeten Kunstwerk vorbei, eine Schöpfung aus Bronze, die Alexander den Großen beim Ringen mit einem gewaltigen Löwen zeigte, umgeben von einer geifernden Hundemeute, während einer seiner Generäle ihm zu Hilfe eilte. Die Hilfe dieses Generals hätte ich jetzt gut brauchen können.
Meine Beute wandte sich bergab. Gegenüber vom Westende des Tempels befand sich ein Tor in der in steilen Stufen ansteigenden Mauer des Heiligtums. Das übliche Gedränge aus Fremdenführern und Statuettenverkäufern wuselte dort herum. Allmählich müde geworden, war Statianus nicht mehr so trittsicher. Er prallte gegen einen Straßenhändler, warf dessen Tablett mit Miniaturweihgeschenken um und wurde wütend festgehalten. Als er sah, dass ich aufholte, stieß er den Händler gegen mich. Ich packte den Mann, wirbelte ihn aus dem Weg und spürte, wie mein Knöchel umknickte, als ich über eine der verstreuten Statuetten stolperte. Fluchend wandte ich den Blick von Statianus ab und verlor ihn.
Er musste durch das Tor gelaufen sein. Ich folgte, bekam aber Zweifel. Der Pfad dahinter führte zu der legendären Kastaliaquelle. Ihr Wasser wurde in den delphischen Ritualen verwendet, weshalb Pilger auf der geführten Gesamttour hierhergeschleppt wurden, um einen Schluck daraus zu nehmen. Benebelt von einer Mischung aus Erschöpfung und mystischer Ehrfurcht, torkelten sie überall herum, ohne zu bemerkten, dass andere an ihnen vorbeiwollten. Das hielt mich richtig auf. Eine ältere Dame, die auf einem Stein am Wegrand saß, beharrte darauf, mich zu fragen, wie weit es bis zur Quelle sei, und versuchte es in mindestens drei gebrochenen Sprachen, als ich keine Antwort gab.
Die Quelle entspringt in einer wilden Schlucht. Einst musste sie ein friedvoller Winkel für Eidechsen und wilden Thymian gewesen sein. Jetzt hallten hier kreischende Stimmen von Besuchern wider, die ihre Füße in den heiligen Fluten wuschen und ihren Freunden zuriefen, wie kalt das Wasser sei. Stufen führten zu einem rechteckigen Becken hinab, wo sieben bronzene Löwenköpfe, eingelassen in sauber behauene Steinplatten, Wasser ausspuckten, das von Beutelschneidern in kleinen Bechern aufgefangen wurde, alle begierig auf Trinkgelder und in der Annahme,
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