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Delphi sehen und sterben

Delphi sehen und sterben

Titel: Delphi sehen und sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lindsey Davis
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dass die Besucher noch etwas übrig hatten, nachdem sie Strichmännchen-Statuen, kitschigen Ramsch und bröcklige Opferkekse gekauft hatten. Ich hätte gewettet, dass diese Tempelparasiten, wenn die Pilger ihrer Wege gezogen waren, das Zeug aus praktisch angebrachten Nischen klaubten und es erneut verkauften.
    Auf der Suche nach Statianus ließ ich meinen Blick über die Menschen schweifen. Inzwischen fühlte ich mich selbst wie ein Haferkeks, der zu lange in der Sonne gelegen hat. Ein Becherhökerer zupfte mich am Ärmel. Ich riss mich los.
    Ich stand auf dem Pfad und dachte, ich hätte Statianus verloren. Schwer atmend erschreckte ich ein paar Pilger, während ich zu den Bergen starrte und die Landschaft verfluchte.
    Dann sah ich, dass es noch einen zweiten Brunnen gab. Älter und fast verlassen, war dieser von einem kleinen Hof mit Bänken an drei Seiten umgeben. Hier spuckten nur vier recht freundlich aussehende Bronzelöwen Wasser in Schluckaufrinnsalen aus, während ein einsamer Wächter ohne viel Hoffnung herumlungerte. Ich kaufte ihm einen Becher voll ab, stürzte das Wasser hinunter und gab dem Wächter ein Trinkgeld.
    »Haben Sie einen atemlosen Mann gesehen?«
    Zu meinem Erstaunen wedelte er mit dem Arm. Ich dankte ihm und folgte dem Pfad weiter. Fast sofort hörte ich Helena hinter mir rufen. Ich lief langsamer. Sie holte mich ein, und zusammen trabten wir durch schattige Olivenhaine, bis wir am Gymnasion von Delphi vorbeikamen. Dahinter lag ein kleines ummauertes Heiligtum, das uralt wirkte.
    Wir wurden langsamer, sahen uns an und betraten das Heiligtum. Altäre mit Inschriften an der Schutzmauer verrieten uns, dass wir uns in dem seit uralten Zeiten verehrten Heiligtum der Athena Pronaia befanden. Außer einer Reihe von Altären verfügte es nur über fünf oder sechs Hauptgebäude, hintereinander aufgestellt, einschließlich der Ruinen eines Tempels, der bei einem Erdbeben zerstört worden war. Ein neuerer, kleinerer Tempel hatte ihn ersetzt. Es gab zwei Schatzhäuser, vor denen ein großer Sockel mit einer Trophäe stand. Im Zentrum des Heiligtums befand sich ein wunderschönes Gebäude, umgeben von dorischen Säulen mit erlesenen Verzierungen im oberen Teil. Eines von der Art, die man als Tholos bezeichnet. Wir hatten eine Tholos in Olympia gesehen, in der Philipp von Makedonien und Alexander der Große Statuen von sich und ihren Vorfahren versammelt hatten. Diese hier war auf einem runden Unterbau mit mehreren Stufen errichtet. Auf einer davon saß ein zusammengekrümmter junger Mann in einer weißen Tunika und rang nach Atem.
    Wir gingen zu ihm.
    »Tullius Statianus!« Helenas Stimme war heiser, doch sie klang streng und entschlossen, sich nichts bieten zu lassen. »Ich glaube, Sie kennen meinen Bruder Aelianus.«
    Er blickte mit stumpfen Augen auf, nicht bereit oder unfähig, noch länger vor uns davonzulaufen.
     
    XLII
    Wir nahmen ihn zum Gymnasion mit. Es lag nicht weit entfernt und war ein vertrauter Ort, an dem Statianus vielleicht entspannter sein würde; außerdem gab es dort bestimmt etwas zu essen. Helena fand draußen einen schattigen Platz (da ihr als Frau der Eintritt verwehrt war), während ich uns Gebäck, gefüllte Weinblätter und Oliven besorgte. Statianus aß das meiste davon. Er wirkte ausgehungert, und ich fragte mich, ob ihm bereits das Geld ausgegangen war.
    Bargeld, meinte ich. Er musste über Geldmittel verfügen, konnte aber hier draußen gestrandet sein. Männer seines Rangs brauchten nur einen Bankier im Ausland, der ihren Bankier in Rom kannte, doch ohne einen solchen Kontakt waren sie genauso hilflos wie wir anderen. Delphi musste über Geldwechsler verfügen, aber seit dem Niedergang des Heiligtums würde es nur wenige internationale Finanziers geben, die Kreditbriefe akzeptierten. Statianus konnte angeblich schlecht mit Geld umgehen, und wenn er alles ausgegeben hatte, was sich in seiner Börse befand, saß er vermutlich auf dem Trockenen.
    Wir sahen ihn uns genauer an. Sauber war er anscheinend, aber er konnte eine Rasur vertragen. Unter den Stoppeln entbehrte es seinem Gesicht an Charakter. Seine Mimik war begrenzt; er konnte nach oben gucken, nach unten, nach rechts und nach links. Sein Mund bewegte sich nicht, und seine Augen hatten nichts Lebendiges. Ein freundlicher Mensch würde sagen, der Kummer hätte ihn leergefegt. So freundlich war ich nie.
    Helena und ich beendeten unser Mahl als Erste. Während Statianus heißhungrig weitermampfte, begann Helena ihn

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