Delphi sehen und sterben
kommt nicht in Frage! Er redet viel zu viel!« Trotz ihrer krausen Haare und unkontrollierten Draperien war Helvia absolut offen.
»Das stimmt«, gestand Marinus ohne Groll. »Und
ich
hoffe auf eine Gefährtin, der halb Kampanien gehört!« Helvia senkte den Blick, als gäbe sie sich geschlagen.
»Was ist mit Ihnen, Indus?«, ließ Helena einfließen. »Suchen Sie auch nach einer wohlhabenden neuen Frau, oder blicken Sie ständig über Ihrer Schulter nach einem übereifrigen Steuereintreiber?« Sie ließ es humorvoll klingen. Indus fasste es auch so auf – scheinbar.
»Oh, ich gebe gerne den Mysteriösen, liebe Dame.«
»Wir glauben alle, dass er ein entflohener Bigamist ist«, sagte Helvia kichernd. Also wurden die Gerüchte über Indus offen erwähnt – und ihm gefiel es, diese Gerüchte schweben zu lassen.
»Sie kennen die alte Maxime: Gestehe nie – und du wirst es nie bedauern.«
»Leugne, und du bekommst ein blaues Auge!«, konterte ich.
Nach einigen Augenblicken des Schweigens richtete Helena sich etwas auf. »Statianus und Aelianus werden vermisst, genau wie jemand anderes. Uns wurde gesagt, dass noch ein dritter Mann allein reist, den niemand bisher erwähnt hat. Gab es da nicht einen Turcianus Opimus in Ihrer Gruppe? Nach unserer Information behauptet er, dies sei ›seine letzte Chance, die Welt zu sehen‹.«
Das Schweigen hielt an.
»Hat Ihnen das niemand erzählt?« Helvia schien unsicher zu sein.
Die beiden Männer sahen einander an. Es wirkte ziemlich unheilvoll. Indus blies die Backen auf, ließ Luft ab, schwieg dann aber. Helvia verdrehte inzwischen ihre durchsichtige Stola zwischen beiden Händen, offensichtlich bekümmert. Wir blickten zu Marinus, der immer zu viel redete, und rangen ihm endlich die fatalen Worte ab: »Turcianus ist verstorben.«
XXVII
Helena richtete sich auf und atmete langsam aus. »Ich hoffe, Sie wollen uns nicht etwa sagen, dass an seinem Tod auch etwas unnatürlich war?«
»O nein«, versicherte ihr Helvia ein wenig benommen. »Wir sind nur … Nun ja, ich verstehe, dass die Nachricht Sie schockieren musste, da Sie hergekommen sind, um Nachforschungen über Valeria anzustellen. Für uns andere ist sie … Also, wir kannten den Mann ja kaum …«
»Er war krank.« Ich machte eine Feststellung daraus.
Helvia beruhigte sich. »Ja, das stimmt. Schwerkrank, wie sich herausstellte. Aber das war keinem von uns klar.«
Helena blieb immer noch argwöhnisch. Sie befürchtete, es könnte sich als weiterer unglücklicher Todesfall erweisen. »Stimmte demnach seine Aussage, er würde reisen, solange er es noch könnte – dass ihm nur noch sehr wenig Zeit bliebe?«
»Anscheinend«, erwiderte Marinus. »Ohne zynisch klingen zu wollen …« Wir hatten ihn bereits als Zyniker eingestuft. »Ich bezweifle, dass Phineus Opimus mit auf diese Reise genommen hätte, wenn ihm dessen wahrer Zustand bekannt gewesen wäre.«
»So viel Ärger …«, meinte Helena mitfühlend. »Die Asche zurückführen zu müssen. So schlecht für seinen Ruf, Kunden in Begräbnisurnen heimzusenden.«
»Und wenn es so weitergeht«, scherzte Marinus, »muss Phineus am Ende mehr Urnen mit nach Hause nehmen als Menschen.«
»Oh, Marinus!«, rügte ihn Helvia. Sie wandte sich an Helena und vertraute ihr die Geschichte an. »Opimus schien ein so netter Mann zu sein. Aber er war sehr krank, entdeckten wir, und er wollte unbedingt nach Epidauros – zum Tempel des Asklepios, wissen Sie.«
»Ich wusste gar nicht, dass Epidauros auf Ihrem Reiseplan steht«, sagte ich.
»Nein, ursprünglich nicht. Aber schließlich machen wir die Sport-und-Tempel-Tour, und Epidauros besitzt einen sehr berühmten Tempel mit einer faszinierenden Geschichte. Es gibt dort sogar ein Stadion.«
»Und ein gutes Theater?«
»Ein erstaunliches Theater. Als wir herausfanden, wie sehr Opimus litt, stimmten wir ab. Die meisten von uns waren bereit, das medizinische Heiligtum aufzusuchen und ihm eine letzte Heilungschance zu verschaffen.«
»Wie hat Phineus die Abstimmung für den Umweg aufgenommen?«, fragte ich. Marinus und Indus lachten herzlich. »Verstehe! Nun ja, Sie sind die Kunden, also haben Sie ihn überredet.«
»War für den dämlichen Phineus kein Verlust!«, sagte Marinus scharf. »Wir zahlen dafür, wenn wir eine Reiseplanänderung wollen.«
»Und das war
nach
Olympia?«
»Ja«, bestätigte Helvia. »Wir waren alle erschüttert durch Valerias Tod und vielleicht ein wenig freundlicher zu unseren
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