Delphi sehen und sterben
hergekommen bist.«
Tiberia wollte nicht. Sie zögerte, lehnte sich an Helena, den Kopf linkisch gesenkt. Ich hörte Albia leise knurren. Ich schlug einen scharfen Ton an. »Wir sind hier alle ein wenig traurig. Komm schon, stell dich nicht so mädchenhaft an. Spuck’s aus, Tiberia.«
Nach einem weiteren mitleidlosen Schubs von Helena machte Tiberia endlich den Mund auf. Ihre Stimme war fast zu selbstsicher, wenn ihr Ton auch träge war: »Also, na ja, nachdem Sie uns von Cleonymus erzählt haben, hörte ich Sie sagen, dass Sie zu Phineus gehen würden.«
»Und?« Das war vermutlich zu brüsk, aber ich hatte genug für diesen Tag.
»Warum wollten Sie mit ihm sprechen?«
»Tut nichts zur Sache. Wieso willst du das wissen, Tiberia?«
»Oh … wegen gar nichts.«
»Dann wäre das ja erledigt.« Ich ließ sie erkennen, dass ich das Interesse an ihr verloren hatte. Es wirkte.
»Ich mag ihn nicht«, flüsterte sie.
»Mein Typ ist er auch nicht.« Ich bemühte mich um einen sanfteren Ton. »Was hat er dir getan?«
Tiberia wand sich. Ich schenkte ihr den skeptischen Blick, den ich für Situationen aufhob, in denen ich zu müde war, um mich anzustrengen. Keine Lust auf vorsichtiges Nachbohren. Sie konnte es mir erzählen, wenn sie wollte, oder sich zum Hades scheren. »Ich mag es nicht, wie er einem immer auf den Esel hilft.«
Helena sprang mir schließlich bei. »Die Hände überall?« Tiberia nickte dankbar. »Ist das alles, was er tut?« Erneut ein Nicken. Es hätte viel schlimmer sein können, aber für ein so junges Mädchen konnte das Verhalten des Mannes monströse Bedeutung annehmen. »Ich vermute«, meinte Helena, »dir gefällt nicht, was da passiert, aber du hast das Gefühl, dich über nichts Bestimmtes beschweren zu können?«
Wieder nickte Tiberia heftig. Phineus würde alles abstreiten und behaupten, das Mädchen bilde sich das aus völlig falschen Gründen ein – oder es sei überempfindlich für absolut normales Verhalten.
Helena konnte Grabscher nicht ausstehen. Sie ermutigte Tiberia, offener zu werden. »So was passiert, aber ich kann das auch nicht leiden. Wenn man was sagt, tun die Männer immer so, als wäre man prüde. Niemand nimmt es jemals ernst – doch wir schon, Tiberia.«
»Kein Sinn für Humor, würde er sagen«, fügte ich jetzt freundlicher hinzu. »Sarkastische Anspielungen auf die Vestalinnen …« Das Risiko bestand, dass die anwesenden Frauen vermuten könnten, ich teilte Phineus’ Ansicht. Vielleicht hatte ich das früher auch getan.
Tiberia wurde rot. »Mein Vater sagt, ich bilde mir das ein.« Drecksack. Wenn sie eine meiner Töchter wäre, hätte Phineus schon sein Fett abbekommen. Aber Sertorius war taktloser, als er zugeben würde, und im Allgemeinen halten die Leute zusammen, um solche Situationen zu ignorieren.
»Ich nehme an, deine Mutter kennt die Wahrheit«, sagte Helena sanft.
»Mutter hasst ihn auch. Genau wie die anderen Frauen.«
»Hat Valeria Ventidia ihn auch gehasst?«, fragte ich. »Hat er Valeria belästigt?«
Tiberia nickte und fummelte wieder an ihrem Haar herum. Inzwischen war ich kurz davor, sie mit diesem dämlichen Band zu erwürgen.
»Und gibt er sich nur übermäßig vertraulich? Geht er damit niemals weiter, soviel du weißt?«, prüfte Helena nach. Als das Mädchen sie verwirrt anschaute, drückte Helena sich genauer aus. »Versucht er zum Beispiel dich dazu zu bringen, sich heimlich mit ihm zu treffen?« Jetzt blickte Tiberia wirklich alarmiert. »War nur eine Annahme. Mach dir darum keine Sorgen. Er wird nicht fragen, und selbst wenn er es tut, würdest du nicht hingehen, nicht wahr? … Gut, vielen Dank, dass du es uns erzählt hast.«
»Was werden Sie tun?«, wollte Tiberia wissen. Ihre Stimme hatte immer noch diesen trägen Ton, aber sie flehte mich an, wollte gerettet werden.
»Das habe ich zu entscheiden, wenn der richtige Augenblick gekommen ist«, erwiderte ich. »Und was dich betrifft, wenn irgendein Mann dich auf diese Weise belästigt, ruf einfach laut ›Lassen Sie das!‹ – vor allem, wenn andere dabei sind. Er wird sich nicht gern in der Öffentlichkeit bloßstellen lassen. Und die anderen könnten dazu verleitet werden, dich zu unterstützen.«
Tiberia zockelte davon. Offensichtlich hatte sie sich eine stärkere Reaktion gewünscht. Ich erwartete nicht, dass sie dankbar war für meinen guten Rat, hoffte jedoch, sie würde ihn beherzigen.
Helena setzte sich zu mir. Ich kniff sie in die Nase. »Sieht dir gar
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