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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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zurückgeschickt. Wer weiß, vielleicht hätte ich meine Form von Humor als Außenstehender auch nicht immer verstanden.
     
    Die Kapelle im Untergeschoss der Klinik ist der einzige Ort der Stille in diesem hektischen Klinikalltag. Öfters schließe ich hinter mir die Türe und werde augenblicklich von gedämpftem Licht und Ruhe umhüllt. Kein Mensch außer mir scheint sich hierher zu verlaufen.
    Einige Male bringe ich selbst jemanden mit, zum Kartenspielen. Mit Guido oder meinem ältesten Bruder spielen wir stundenlang ungestört Risiko. Nichts hat sich in diesem Moment verändert, wie früher auch sitzen wir gemeinsam am Tisch, vollkommen versunken in das Spiel, der Rollstuhl ist vergessen.
     
    Meine Grundausbildung habe ich nun erfolgreich absolviert, jetzt fehlt nur noch der letzte Baustein, um fit zu sein für ein Leben »da draußen«, wo schon eine jämmerliche Bordsteinkante einen gewaltigen Umweg bedeuten kann: Ich muss von meinem Rollstuhl in ein Auto einsteigen können.
    Zwischen beiden Sitzen gilt es mindestens einen halben Meter zu überbrücken, und aus der unerprobten Sicht eines Neulings wirkt dieser Abstand gewaltiger als ein Sprung über den Grand Canyon. Mit Jenny übe ich den Transfer und erinnere mich dabei an das früher gehörte »Schwung holen« des Kollegen. Die erste Landung ist punktgenau, exakt zwischen Rollstuhl und Autositz auf der Fußleiste.
    Ein Rutschbrett muss her, ein 50 Zentimeter langes, glatt beschichtetes weißes Holzbrett, mit dessen Hilfe der Spalt auf gleicher Höhe überwunden werden kann. Damit soll ich reisen, frage ich mich? Als wenn der Rollstuhl und die medizinische Ausrüstung nicht schon als Ballast reichten! Allmählich komme ich mir wirklich behindert vor, ein Transporter wäre das angemessene Fortbewegungsmittel für mich.
    Die unsanfte Landung zwischen Rollstuhl und Autositz löst bei mir vor allem auch Angst aus vor einer Druckstelle oder einer sonstigen Verletzung, die ich nicht spüren kann. Ich werde sofort auf die Station gebracht, und in Seitenlage wird meine Haut penibel auf Rötungen kontrolliert. Zur Sicherheit bleibe ich einige Stunden im Bett.
    Eine Druckstelle etwa am Hintern, also abgestorbene Hautzellen, hätte eine noch verheerendere Auswirkung als die Druckstelle am Schulterblatt. Ich könnte sie nur durch tage- oder wochenlanges Verharren in Bauchlage entlasten. Ein Leben in sitzender Position ist ohne gesundes Sitzfleisch nicht vorstellbar. Schon kleinste Wunden können bei fehlender sensorischer Rückmeldung und entsprechender Fehlbelastung fatale Folgen haben. Ist der Stuhl, auf den ich mich gesetzt habe, zu hart, wird die Haut zu stark beansprucht. Daraus begründet sich eine regelrechte Phobie bei mir, plötzlich die mühsam erworbene Unabhängigkeit wieder verlieren zu können und wieder wochenlang in ein Krankenhaus zu müssen.
    Als zusätzliche Entlastungsmaßnahme der Haut und zur Stärkung der Knochen, Sehnen und Gelenke bekomme ich Stehtraining verordnet. Stehen bändigt auch meine permanent zappelnden Beine. Die Spastik, die der Berliner Arzt diagnostiziert hatte, nimmt schon seit Wochen deutlich zu, das Medikament, das den Muskeltonus senken sollte, ermüdet mich jedoch so sehr, dass ich es gleich wieder absetze.
    Meine Knie und mein Becken werden in einem speziell konstruierten Stehpult leicht fixiert, so stehe ich dann »aktiv« eine Stunde. Der Kreislauf wird dabei stark gefordert, ich muss mich nass geschwitzt regelmäßig wieder für einen Moment setzen.
    Ich genieße den Blickkontakt mit Therapeuten und Hilfskräften auf Augenhöhe. Endlich einmal wieder die bekannte Perspektive und nicht das permanente Kopf in den Nacken legen...
     
     

Vergebliche Eile
     
    Ich plane meine Tagesetappe neu, und bin bald darauf und so früh wie noch nie an der nächsten Herberge angelangt, in Grimaldo. Den Schlüssel erhalte ich von der Betreuerin, da in dieser Gegend jedoch bis 18 Uhr Siesta gehalten wird, verschwindet sie schnell wieder.
    Ein paar heimatliche Gefühle werden bei mir aktiviert, als ich eine Plakette entdecke, die darauf hinweist, dass ich eine Errichtung vor mir habe, die gemeinsam mit der deutschen Sankt Jakobusgesellschaft in Aachen geführt wird.
    Ich habe Zeit im Überfluss, also flicke ich das winzige Loch im Reifen. Wie oft werde ich noch so dasitzen?
    Zugleich überkommt mich Trauer wegen dieser ungeplanten Pause. Die Herberge ist dunkel, ich fühle mich abgeschnitten vom Leben und irgendwie abgeschoben. Im Vergleich

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