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Dem eigenen Leben auf der Spur

Dem eigenen Leben auf der Spur

Titel: Dem eigenen Leben auf der Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Bernhard
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jäh stoppte.
    Hier gibt es kein Hindernis, das mich aus der Trance reißt. Das einzige Geräusch, das ich höre, ist mein Atem, und bei jedem Schweißtropfen, der von meinem Gesicht auf meine Beine fällt, glaube ich, einen kleinen Aufschlag zu vernehmen.
    Als ich mich umdrehe, sehe ich Galisteo auf einer kleinen Anhöhe liegen, vollständig von seiner Stadtmauer umgeben. Diese mittelalterlichen Mauern schufen für mich allerdings eine so beklemmende Atmosphäre, dass ich nicht bleiben konnte. Außerdem sehne ich den Luxus von Elenas Privatherberge in Carcaboso herbei, den ich zwischen den Zeilen des Reiseführers herauszulesen glaube. Ein sonnendurchflutetes Penthouse mit Parkettboden und Waschmaschine steht mir ganz deutlich vor Augen, vielleicht sogar mit Internet Hot-Spot und On-screen-Fax?
    Ich erlebe eine vollständige Bauchlandung. Elena, eine 75-jährige Dame, und ihr Sohn schicken mich sofort weiter zur lokalen Sporthalle. Sie sehen keine Möglichkeit, mir zwanzig Stufen in den ersten Stock hinauf zu helfen. Außerdem, wie sollte ich von da oben morgen früh wieder herunterkommen, oder was passiert bei einem Feuer? In der Sporthalle sei ich auch nicht allein, trösten sie mich, dort übernachte noch eine weitere Pilgerin. Ich werde hellhörig.
    Elena kümmert sich liebevoll und organisiert eine Matratze für den harten Hallenboden. Dank meines Mini-Wörterbuchs ist auch die technische Kommunikation kein Problem. Ein spanischer Buddy Holly soll mir auf seinem klapprigen Fahrrad den Weg zeigen.
    Allein wäre ich deutlich schneller gewesen, da die Sporthalle nicht schwer zu finden ist. Jedem, den er trifft, erzählt er erst mal kurz meine Geschichte, und alle finden ihn super dafür, dass er mich kennt und er mir jetzt sogar den Weg zeigt. Aber es ist okay, ich vertreibe mir die Zeit damit, dass ich mir vorstelle, wie Buddy Holly zu singen anfängt, während ich ihn auf der Luftgitarre begleite.
    »Eigentlich sollte jeder Pilger ein richtig nutzloses Gepäckstück dabei haben, um ein bisschen Spaß in die manchmal wirklich zu ernst genommene Wallfahrt zu bringen«, höre ich mich vor einem Jahr zu meiner Mitpilgerin Petra in Frankreich sagen. Es war auf meiner zweiten Pilgerreise, wir beide liebten Bier, gute Stimmung und Rock ’n’ Roll als Lebenseinstellung. Er ist ehrlich, nicht überkandidelt und hat extrem viel Power! God gave Rock ’n Roll to you!
     
    Die Sporthalle stinkt nach toter Ratte. Und die Pilgerin sieht leider gar nicht wie Petra aus. Sie ist etwa fünfzig Jahre alt, kommt aus Frankreich und ist ihrem Mann davongelaufen, wie sie mir bereits in der ersten Stunde erzählt. Immer wieder finde ich es total faszinierend, wie schnell Menschen beim Pilgern ihr Innerstes nach außen kehren.
    Vielleicht verhält es sich ähnlich wie das, was Linda über ihren Job als Flugbegleiterin erzählte: »Du hast 7000 Kollegen bei KLM, bist längere Zeit auf artifiziell engem Raum zusammen und erzählst dir zwischen zwei Cross-Checks deine gesamte Lebensgeschichte.«
    Jeder pilgert anders! Mein Arbeitskollege zum Beispiel erklärte mir: »Ich pilgere jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit. Das muss reichen, ansonsten habe ich lieber den 5-Sterne-Luxus eines schönen Hotels. Auf die unangenehmen Themen habe ich sowieso keine Lust.«
    Meine Mitpilgerin hat starke Schmerzen. »Gibt es denn wirklich keine Möglichkeit, die morgige Etappenlänge zu verkürzen? Im Moment sind 20 Kilometer mein Maximum.«
    Nun, wenn du unter dem 2000 Jahre alten Torbogen in Cáparra schlafen willst, mache ich ihr ein bisschen Angst und lese eine Passage aus meinem Wanderführer vor: »Zweifelsohne ist die Übernachtung unter dem Bogen von Cáparra ein außergewöhnliches und unvergessliches Erlebnis. Bedenken Sie aber bitte, dass es in der Extremadura des Nachts gelegentlich auch kalt werden kann. Was dem Pilger aber auf jeden Fall zugute kommt ist der Umstand, dass es hier einen Getränkeautomaten und ein WC mit fließend Wasser gibt. Achtung! Beides ist nur während der Öffnungszeiten zugänglich.«
    Auch ich würde an ihrer Stelle auf so ein unvergessliches Erlebnis wahrscheinlich verzichten. Wir verkriechen uns bald jeder in seinem Schlafsack.
    Elena schmeißt die Bar wie eine junge Frau, hantiert schwungvoll an der Espressomaschine, während sie Frühstück serviert und vereinzelt schon jetzt am frühen Morgen die ersten Schnäpse austeilt.
    Wenn ich Alkoholiker wäre, dann nur in Spanien. Ich kenne kein Land, wo der Alkohol so

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