Dem eigenen Leben auf der Spur
willens ist, sich meiner Spezialkonstruktion anzunehmen. Er verspricht, die Tasche bis zum nächsten Nachmittag mit Lederaufsätzen zu stärken und wieder gebrauchsfähig herzurichten.
Meine gesamte Habe muss zwischenzeitlich in zwei Plastiktüten Platz finden — in Frankfurt würde ich mich damit wie ein Penner fühlen. Martine trägt die Tüten für mich. Ich bitte sie darum, und ein bisschen widerwillig hilft sie mir. Ich fühle mich wie ein neues Spielzeug, das nach anfänglicher Begeisterung seinen Reiz verliert und schnell in der Ecke landet.
Ich selbst bin eifersüchtig auf Thomas, ärgere mich, im Gegensatz zu ihnen nachts allein in einer Bar sitzen zu müssen, für alle Anwesenden sofort als Fremder erkennbar. Ich schlage ihnen vor, den Abend gemeinsam in einer Kneipe ausklingen zu lassen, aber sie wollen schlafen gehen.
Durch die Reparatur habe ich am nächsten Tag Zeit für eine ausgedehnte Besichtigung von Zamora. Auf dem Platz vor der Kathedrale schreibe ich die ersten und einzigen Postkarten auf dieser Reise. Pilger sind keine Touristen. Der Tourist fordert, der Pilger dankt.
Dafür schreibe ich fleißig E-Mails und schicke sie an Freunde und an meine Familie rund um die Welt. Eine Stunde Pause im virtuellen Raum tut mir gut. Hier herrschen die aus dem Alltag gewohnten Gesetze, alles ist leicht erreichbar, keine anstrengenden Steigungen liegen hinter der nächsten Ecke. Nicht einmal Hunger und Durst muss man hier leiden, Sandwiches und Bier warten schon auf einen.
Manchmal, wenn ich die Stille gar nicht mehr aushalte, schalte ich während der Wanderung mein Handy an und telefoniere oder schicke eine SMS. Aus Orten, die niemand auf der Karte findet, geschweige denn von denen er gehört hat. Manchmal brauche ich den Kontakt zur Welt.
Am späten Nachmittag breche ich für mich selbst überraschend auf. In mir hat sich das Gefühl ausgebreitet, hier nur geduldet zu sein. Trotzig schüttle ich dieses Gefühl von mir ab.
Das Alleinsein hat mir gezeigt, dass ich gut mit mir selbst auskomme. Die Begegnungen sollen leicht und unkompliziert sein, oder sie sind nicht wichtig. Eine volle Tagesleistung liegt vor mir.
Kaum habe ich die Stadtgrenze hinter mir gelassen, stoppt mich die Polizei. Die ernsten Gesichter lassen mich Böses ahnen.
»Woher haben Sie die Polizeiweste?«, fährt mich einer forsch an. Acht Polizisten stehen unversehens um mich herum. Ich beschreibe ihnen, wie ich sie von einem ihrer Kollegen in Monesterio geschenkt bekommen habe, und dass ich sie seit 500 Kilometern trage. Oft haben mir Polizisten unterwegs sogar freundlich zugewinkt.
Ohne die Weste auszuziehen zeige ich ihnen die auf der Innenseite der Weste notierte Dienstnummer und das dazugehörige Foto auf dem Display meiner Digitalkamera. Der Polizist lässt aber nicht locker.
»Sie tragen ein offizielles Kleidungsstück eines Staatsorgans, wir müssen das einziehen.«
Sie scheinen mir die Geschichte nicht zu glauben. Ich will nicht klein beigeben und verlange, dass sie mir dann wenigsten etwas Entsprechendes als Ersatz geben sollten, damit ich gesehen werden könne und nicht überfahren werde. »Da drüben ist ein Zubehörgeschäft für Autos, die verkaufen reflektierende Westen. Sie haben doch Geld.«
Weitere Verstärkung trifft ein. Gerade berichtet der Polizist die Geschichte seinem Vorgesetzten, der mich kritisch aus einiger Entfernung mustert. Auch ihm muss ich die digitalen Bilder zeigen. Hoffentlich konfiszieren sie die Kamera nicht, bete ich im Stillen. Das nächste Spaßfoto zeigt Ludek mit der Polizeiweste, die Glaubwürdigkeit meiner Geschichte würde dadurch nicht sonderlich gesteigert werden, muss ich mir eingestehen.
Lange passiert gar nichts. Ich stehe im Schatten eines Polizeibusses und rätsele, ob ich nach Zamora umkehren soll. Es ist 18 Uhr, und noch 28 Kilometer liegen vor mir.
Plötzlich kommt Bewegung in die Angelegenheit. Ein Polizist hat eine Weste in dem gegenüberliegenden Geschäft gekauft. Er hält sie mir hin. Hier ist kein Platz für Heldenstorys und ich sehe keine Chance, länger auf meinem Standpunkt zu verharren, ohne die Polizei ernsthaft zu verärgern.
Der Polizist hat die Guardia Civil Traffico-Weste schon in der Hand, als ich ihn bitte, sie noch ein letztes Mal nehmen zu dürfen. Sie belächeln den seltsamen Pilger, der ich in ihren Augen bin, müde, ich aber kann nach über zwei Wochen von der Weste Abschied nehmen wie von einem lieb gewonnenen Freund.
Im Geiste sah ich mich
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