Dem Killer auf der Fährte
Ihr Gesicht paßte zu den Haaren: schlaff und blaß mit dunklen Rändern unter den Augen und bräunlichen Flecken. Vielleicht war es verschmiertes Makeup, vielleicht aber auch Müdigkeit und Erschöpfung.
Wir saßen auf einem Sofa mit Baumwollstoffbezug, der einmal weiß gewesen sein mußte, aber nun zahllose Spuren eines roten Filzstifts trug. Auf dem Fußboden lagen riesige Kissen verstreut, alle in einem Muster, das ich noch aus meiner Kindheit kannte, als meine Mutter mich oft zu dem alten Einrichtungsgeschäft am Harvard Square mitnahm. Auch die Jalousien an den Fenstern trugen das gleiche Muster, wirbelige Formen in Grün und Orange, die sich unter einer Schicht von Staub und Schmutz vergeblich um eine fröhliche Note bemühten. An der Wand gegenüber dem Sofa hing eine lange und breite Stoffbahn mit einem blauen, zwiebelförmigen Muster.
»Sie müssen entschuldigen, aber ich hatte noch keine Zeit, die Spielsachen der Kinder wegzuräumen«, sagte Sheila zu mir. »Mein letzter Klient kam um sechs Uhr, und ich bin erst um halb acht nach Hause gekommen. Und dann mußte ich noch den Babysitter heimfahren.«
Natürlich hatte sie keine Zeit zum Aufräumen gehabt. Das hätte auch mindestens einen Monat in Anspruch genommen, und wir hatten uns erst am Morgen verabredet. Wo man ging und stand, lagen Spielsachen herum - mehrere Dreiräder, ein Satz überdimensionaler, orangefarbener Pappwürfel, eine hölzerne Rutschbahn, ein grünes Plastikboot, zahllose Bauklötze, Springseile, Puppen, Lokomotiven und Schienen aus Holz, Teddybären in allen Größen, Bilderbücher und so viele Legosteine, daß man daraus ein detailgetreues Modell von New York City hätte bauen können. Auf dem ziemlich mitgenommenen Couchtisch lagen eine halbgegessene Toastscheibe, eine sorgfältig zusammengefaltete Windel (offensichtlich benutzt, und Urin war es nicht), eine angeschlagene Teekanne aus Keramik mit schmutzig-beigefarbener Glasur und zwei passende, weil ebenfalls lädierte, Teetassen, unter deren abgeblätterter blauer Glasur der braune Ton hervorschimmerte.
»Das ist völlig in Ordnung.« Es klang aufrichtig, und eigentlich war es das auch. »Ich habe auch noch nicht hinter meinen Hunden aufgeräumt, und ich bin Ihnen wirklich dankbar, daß Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
»Es hat mir immer leid getan, daß ich mit dem Training von Es nicht weitergemacht habe.«
Ach ja, richtig: »Es« war der Name ihres Ridgebacks. Auf so einen Namen kann man wohl nur in Cambridge kommen, weshalb es ein demütigender Ort für Hunde sein kann. Sheila muß meine Gedanken erraten haben, denn sie rechtfertige sich: »Der Name war anfangs nur ein Scherz, weil er soviel geschlafen hat. Sie wissen ja, Schlaf ist Unterbewußtsein, und Unterbewußtsein ist »Es«. Ich weiß, es klingt blöde, aber jetzt ist es wohl zu spät, ihn noch umzunennen. Jedenfalls hat es mir Spaß gemacht, mit ihm zum Gehorsamstraining zu gehen, aber das hat dann so viel Zeit in Anspruch genommen, daß ich es irgendwann nicht mehr geschafft habe.«
Der Ridgeback, dessen Namen auszusprechen mir schwerfällt, lag zusammengerollt auf dem Fußboden, den Kopf auf eines der Kissen gebettet. Er war sogar noch größer und hochbeiniger, als ich ihn in Erinnerung hatte, und er sah aus wie ein junges Kalb.
»Viele Leute hören nach etwa zwei Monaten wieder auf«, meinte ich. »Es ist wirklich recht zeitaufwendig. Und für jemanden mit Familie und Beruf kann es leicht zuviel werden.«
»Besonders damals«, fuhr sie fort. »Ich machte gerade meinen Universitätsabschluß, und die Kinder waren noch in den Windeln.«
»Alle gleichzeitig?« Sie hatte mir gesagt, daß sie vier Kinder hat. »Haben Sie Zwillinge?«
Sie lachte. »Nein. Aber Ben ist der festen Überzeugung, daß man die Kinder nicht zu früh auf den Topf setzen soll. Er meint, man muß ihnen Zeit lassen, bis sie es selbstwollen. Und sie waren ja noch so klein. Josh, unser Ältester, war erst drei. Und ich habe das Baby noch gestillt. Daß wir uns gerade dann den Hund angeschafft haben, war wohl nicht gerade der beste Zeitpunkt.«
»Wie sind Sie auf einen Ridgeback gekommen?«
»Freunde von uns hatten welche, und wir wollten einen besonders kinderfreundlichen Hund. Und das ist er wirklich. Wir hatten keine Ahnung, daß er so groß werden würde, aber das macht nichts. Er ist der sanfteste Hund, den ich kenne. Er kämpft noch nicht einmal mit anderen Hunden. Manchmal kuschelt sich die Katze zum Schlafen neben ihn. Wir
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