Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
lediglich als Alibi infrage gekommen.
Der Verteidiger von Frederik nimmt in einer Verhandlungspause die Äußerungen seines Mandanten zurück. Die von Frederik genannte »Liebe« sei keine »homosexuelle Liebe« gewesen. Außerdem habe Frederik unter »intim« womöglich etwas ganz anderes verstanden und der Polizist habe schließlich nicht nachgefragt. Auch Frederiks Eltern wollen von so etwas nichts hören.
Weit brisanter ist jedoch das Protokoll, das Frederiks Verteidiger verfasst hat, kurz nachdem ihm sein Mandant die Tat gestanden hatte. Dieses Geständnis weicht in erheblichem Maß von dem ab, was Andreas und Frederik jetzt vor Gericht behaupten.
Danach hat Andreas H. zuerst seine beiden Schwestern im oberen Stockwerk des Wohnhauses erschossen, während Frederik im Wohnzimmer unten wartete. Nach der Rückkehr aus der Gaststätte habe Andreas dann seinen Vater erschossen und mehrere Schüsse auf die Mutter abgegeben. Da seine Pistole nicht ging, habe er Frederik gebeten, auch zu schießen, daraufhin habe Frederik »ein, zwei oder drei Mal« auf die Mutter geschossen. Ob diese zu dem Zeitpunkt bereits tot war, kann Frederik nicht sagen.
Dies deckt sich exakt mit den Aussagen des Ballistikers vom 11. Prozesstag. Dieser hatte festgestellt, dass bei einer der Pistolen der selbstgebaute Schalldämpfer während der Tat kaputtgegangen sein müsse.
Welche Version stimmt? Lügt Frederik vor Gericht, um seinen Freund zu schützen? Da Andreas erst nach ihm ausgesagt hat, war es ihm ein Leichtes, seine Darstellung der des Freundes anzupassen.
Als weitere Beweise werden mehrere Zettel und ein Block präsentiert, die man nach der Tat in Andreas’ Zimmer gefunden hat. Unter anderem hat er eine Liste geschrieben, was er nach dem Tod der Familienmitglieder alles erledigen muss: »Finanzcheck«, »Oma anrufen wegen Beerdigung«, »Vermietung Wohnung und Praxis«, »Leasing, Verkauf, Kauf Autos« und »Wohnung aufpimpen«, was soviel bedeutet wie »aufmotzen«.
Am 28. Januar setzt die Bild noch eins drauf. »Küssten sich die Bubi-Killer nach der Tat?« lautet die fette Überschrift. Darunter steht: »Doch ein neues Detail lässt diese Liebe jetzt gruselig erscheinen. Frederik trug beim Mord eine Sturmhaube. Der Polizei sagte er: ›Damit ich keine Schmauchspuren im Gesicht habe.‹ Doch an der Maske sind verschiedene Speichelspuren: Frederiks haften innen, die von Andreas im Mundbereich außen. Der Verdacht: Küssten sich die Killer nach der Bluttat?«
Würde die Bild- Zeitung sich solch absurde Details ausdenken? Vielleicht stimmt es also, dass Frederik eine Sturmhaube trug. Und vielleicht stimmt es auch, dass die genannten Speichelspuren vorhanden waren. Durch den absoluten Ausschluss der Öffentlichkeit lassen sich solche Angaben nicht ohne Weiteres nachprüfen.
13. Prozesstag: Mittwoch, 3. Februar 2010
»Ich liebe euch alle«
Warum hat Andreas H. seine Familie ausgelöscht? Aus Geldgier? Oder weil er sie hasste? An diesem Mittwoch wird ein Brief bekannt, den der Angeklagte Anfang 2009 an seine Eltern geschrieben hat – nur wenige Wochen vor den Morden.
Andreas H. liest selbst vor und übersetzt auch gleich. »Top secret! For Mum and Dad. Open together«, so lautet die Überschrift. Der Brief ist zum Teil in Englisch geschrieben, Andreas erklärt, das sei so, weil seine Mutter amerikanische Wurzeln habe. Es ist eine Entschuldigung. Was in den davorliegenden Wochen in der Familie geschah, warum Andreas meint, sich entschuldigen zu müssen, das wird nicht näher ausgeführt.
Der Text ist kurz. Langsam liest Andreas H. vor. »Hey – ich will mich für die letzten drei Wochen entschuldigen. Ich war gestresst und überarbeitet. Ich will, dass ihr wisst, dass ich in einer kleinen Depression bin. […] Ich will mich bedanken für eure Hilfe. […] Aber denkt nicht, dass ich mich umbringe. Dafür liebe ich mein Leben zu sehr. […]«
Der Brief endet mit den Worten: »I love U all« – Ich liebe euch alle.
Der Vorsitzende Richter fragt Andreas H. aus welchem Grund er die Entschuldigung verfasst habe. Dieser erklärt, es habe in den Wochen zuvor Reibereien gegeben. Als er gemeinsam mit Frederik ein Zimmer vertäfelt habe, habe dies dem Vater zu lange gedauert. »Da gab es Streit mit ihm«, so der Angeklagte. »Mir war das unangenehm und ich habe mich ungerecht behandelt gefühlt. Denn ich habe das ja nicht für mich gemacht.« Die Eltern lesen den Brief, Else H. spricht ihren Sohn daraufhin an. »Mach dir keinen Kopf.
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