Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Rangeleien«, ist die lapidare Antwort von Andreas’ Verteidiger. Bis vor kurzem saß Andreas H. in einer Einzelzelle, aber seit kurzer Zeit hat er einen Zellengenossen. Hat dieser ihm das Veilchen verpasst? Andreas’ Anwalt will dazu keinen Kommentar abgeben.
Das Gericht befragt Frederiks Freundin Carolyn A. aus Luxemburg.
Die 18-Jährige kann sich an die konkreten Inhalte der Chats nur spärlich erinnern. Von Problemen mit den Eltern, die ihn benachteiligten, habe er berichtet. Frederik habe ihr geschrieben, sie sei die einzige Frau auf der Welt für ihn und dass sie und Andreas H. die einzigen Menschen seien, die ihm etwas bedeuten.
»Für mich war er einer der nettesten Menschen, die ich je kennengelernt habe«, sagt sie dem Gericht. Frederik sei immer aufmerksam und zuvorkommend gewesen, sie sei sogar ein wenig in ihn verliebt gewesen. Und doch ist es eine rein platonische Freundschaft. »Ich hätte nie damit gerechnet, was dann passiert ist«, beendet Carolyn A. ihre Ausführungen.
Das Gericht fragt nach, will wissen, ob die junge Frau bei Frederik in den Monaten vor dem Mord Stimmungsschwankungen mitbekommen habe. Sie verneint. Mit seiner Aussage: »Das kannst du nicht wollen, dass ich dir zeige, wir hart ich bin und zu was ich fähig bin« kann sie im Januar 2009 nichts anfangen. Das seien harmlose Plänkeleien gewesen. Auch als Frederik schreibt: »Ich bin kein Pazifist. Ich glaube nicht an eine gerechte Welt« denkt sie sich nicht viel. Erst »im Nachhinein«, sagt Carolyn A. nun vor Gericht, »läuft es mir eiskalt den Rücken runter, wenn ich daran denke.«
Frederik lässt bei den Aussagen der einzigen »Frau auf der Welt« keine Gefühlsregung erkennen. Wie üblich starrt er mit versteinertem Gesicht nach unten.
Dann werden Frederiks Eltern befragt. Sie beschreiben ihren Sohn als »ängstliches Kind«. Mutiger sei er erst durch die Bekanntschaft zu Andreas geworden. Vorher habe Frederik sehr viel Zeit zu Hause verbracht und wenig unternommen. Eine Freundin habe es nie gegeben, aber der Sohn habe auch keinen unglücklichen Eindruck gemacht. Die Freundschaft zu Andreas sah der Vater positiv, fand die Beziehung jedoch auch »einseitig«. Immer wenn Andreas H. anrief, sei sein Sohn sofort zu ihm gefahren.
Hätten die Morde verhindert werden können?
Frederiks Mutter berichtet noch einmal vom Tatabend. Am Gründonnerstag sei ihr Sohn sehr angespannt gewesen. Andreas sei vorbeigekommen und habe sehr gesprächig gewirkt. Die beiden Freunde hätten dann erzählt, dass sie in den Marstall gehen und Andreas’ Eltern treffen wollten. Gegen 21:30 Uhr hätten Andreas und Frederik das Haus verlassen. Jedoch sieht die Mutter kurz darauf, wie Andreas draußen wartet, während Frederik mit einem großen Karton auftaucht. »Da haben wir uns gewundert: Was machen die mit der Kiste?«
Da die beiden in der Vergangenheit immer wieder »Lausbubenstreiche« ausgeheckt hätten, will die Mutter hinterherfahren und schauen, was sie vorhaben, doch der Vater winkt ab. Beide Eltern haben schon etwas Wein getrunken. Auch am nächsten Morgen fällt dem Ehepaar B. nichts Besonderes auf. Es ist nicht das erste Mal, dass Andreas bei Frederik übernachtet. Sie wundern sich nur ein bisschen, dass die beiden schon so früh auf sind und Andreas schon Brötchen geholt hat.
Der Prozess wird erst am 20. Januar 2010 fortgesetzt werden. Nach der Strafprozessordnung ist nach zehn Verhandlungstagen eine Pause von bis zu einem Monat möglich und diesen Zeitrahmen schöpft die Kammer voll aus.
11. Prozesstag: Mittwoch, 20. Januar 2010
Wer hat geschossen?
Der Januar 2010 ist ein sehr kalter Monat. Fast jede Nacht fallen die Temperaturen unter minus fünf Grad, es schneit viel, die Sonne lässt sich lediglich an zehn Tagen einmal blicken. Das unwirtliche Wetter passt zu dem, was im Landgericht Ulm nach und nach ans Tageslicht kommt. Heute werden mehrere Kriminalbeamte aussagen, zudem sind der Rechtsmediziner und ein Waffensachverständiger vom Landeskriminalamt geladen. Insbesondere die Ausführungen des Ballistikers werden mit Spannung erwartet. Ist es wirklich möglich, dass alle Schüsse von einem Einzelnen – von Frederik B. – abgegeben wurden?
Hunderte von Tatortfotos werden nun auf einer Leinwand präsentiert. Insgesamt fünf Kriminaltechniker erläutern die Ergebnisse ihrer Arbeit. Die Prozessbeteiligten sehen die am Karfreitag 2009 aufgenommenen Bilder; sie sehen, wo die Leichen lagen, wie sie aufgefunden wurden, welche
Weitere Kostenlose Bücher