Dem Leben entrissen: Aktuelle authentische Kriminalfälle (German Edition)
Minderjähriger, Freiheitsberaubung mit Todesfolge, schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, Vergewaltigung und Mord.
Im Falle einer Verurteilung droht dem Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Der Prozess gegen Mario L. soll am 17. November 2005 beginnen. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß. Reservierungsanfragen für die Teilnahme an den Gerichtsverhandlungen häufen sich. Schon im Vorfeld werden vom Landgericht in einer Mitteilung an die Pressevertreter Regularien herausgegeben:
Nur angemeldeten Fotografen und Kamerateams wird der Zugang in den Sitzungssaal gewährt.
Aufnahmen im Saal dürfen bis zum Aufruf der Sache durch den Vorsitzenden gemacht werden. Danach müssen die Kamerateams den Sitzungssaal mit der gesamten Ausrüstung verlassen.
Es wird darum gebeten, die Gesichter der Gerichtswachtmeister auf allen Film- und Fotoaufnahmen zu anonymisieren.
Auch für alle anderen Prozesssteilnehmer gelten strenge Sicherheitsanordnungen:
Der Zugang zum Sitzungssaal für Zuhörer und Journalisten findet ausschließlich über den Haupteingang im Foyer des 1. Obergeschosses statt.
Es ist verboten, Waffen, gefährliche Werkzeuge, Wurfgegenstände und andere Gegenstände, die die Hauptverhandlung stören könnten, mitzubringen.
Jeder Zuhörer und Pressevertreter wird vor Betreten des Sitzungssaals an der Einlasskontrollstelle auf solche Gegenstände kontrolliert, Taschen müssen ausgeleert und Inhalte vorgezeigt werden.
Wer die Durchsuchung und/oder die Hinterlegung ablehnt, wird nicht eingelassen.
Personen, die den Sitzungssaal während der Hauptverhandlung oder in den Sitzungspausen verlassen, sind erneut zu durchsuchen und zu kontrollieren.
Auf den Gängen werden Durchgangssperren errichtet.
Nicht bei jedem Prozess werden solch strenge Vorkehrungen getroffen. Hier fürchtet man zum einen Auftritte rechtsradikaler Kreise und zum anderen Racheakte gegenüber dem Angeklagten. Als Kindermörder wird er gehasst und aufs Tiefste verachtet. Die Öffentlichkeit, die L.s Vorgeschichte kennt, ist aufgebracht.
Das Schwurgericht für den Prozess gegen Mario L. ist mit fünf Personen besetzt: dem Vorsitzenden Richter, Vizepräsident des Landgerichts Zwickau, den beisitzenden Richtern sowie zwei Schöffen.
Für die Staatsanwaltschaft Zwickau vertritt Oberstaatsanwalt Holger Illing die Anklage. Verteidiger des Angeklagten ist ein Rechtsanwalt aus Solingen. Die Mutter von Ayla äußert im Vorfeld gegenüber der Presse die Vermutung, dass kein einheimischer Rechtsanwalt L. habe verteidigen wollen.
Aylas Eltern treten als Nebenkläger auf und werden jeder durch einen Rechtsanwalt vertreten. Beide werden den Prozess im Sitzungssaal verfolgen. Auch der Sachverständige Dr. Günther P. wird an der Hauptverhandlung teilnehmen.
Prozessbeginn: 17. November 2005
Am 17. November 2005, einem Donnerstag, beginnt der Gerichtsprozess gegen Mario L., auf den Tag genau ein halbes Jahr nach Aylas Ermordung. Zeugen sind an diesem Tag noch nicht geladen.
Oberstaatsanwalt Holger Illing verliest die Anklageschrift. Mario L. werden die Delikte »Entziehung Minderjähriger, Freiheitsberaubung mit Todesfolge, schwerer sexueller Missbrauch von Kindern, Vergewaltigung und Mord« vorgeworfen.
Mario L. hat sich adrett angezogen. Er trägt einen weißen Rollkragenpullover, darüber ein schwarzes Jackett, die Haare sind kurz, er ist ordentlich rasiert. Die Zuschauer im Gerichtssaal sehen einen schwächlich wirkenden Mann mit unscheinbaren Gesichtszügen.
Nach der Verlesung der Anklage wird L. zu seinen persönlichen Verhältnissen befragt. Mario L. erzählt detailliert. Er beschreibt seine Kindheit, seinen persönlichen Werdegang, die berufliche Entwicklung. Zu den Tatvorwürfen aus der Anklage äußert er sich weit wortkarger. Auf die Fragen des Vorsitzenden Richters antwortet er stockend oder gar nicht. Sein Gesicht wirkt ungerührt, wenn er »Weiß ich nicht« oder »Ich kann mich nicht mehr erinnern« sagt.
Er gibt zu, Ayla in den Kofferraum seines Autos verfrachtet zu haben und mit ihr in ein Waldstück gefahren zu sein. Dort, so behauptet er, durfte sie aus dem Kofferraum aussteigen und sich zu ihm nach vorn setzen, wobei L. ihr versprach, sie wieder nach Hause zu fahren. Er habe sie dann aufgefordert, sich auszuziehen. Dem sei das Kind nachgekommen. Er streichelte sie, bis sie ihn bat, dies zu unterlassen. Auf Nachfragen des Richters gibt er zu, dass ihm dabei »heiß« geworden sei. L. erinnert sich an jedes Detail bis
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