Dem Leben Sinn geben
der nachfolgende Schlaf sind die besten Voraussetzungen für bodenlosen Leichtsinn. In seinem Buch Vom Umgang mit Menschen war Knigge auch hierauf aufmerksam, daher seine Empfehlung, Zurückhaltung beim Genuss der »Freuden des Triumphs« zu wahren: »Des Überwundnen, des Unglücklichen schone« ( sic! , Zweiter Teil, Kapitel 11, 1), und dies nicht etwa aus Herablassung, sondern aus Kalkül, denn der Triumph liegt zu nahe, alsdass er klug sein könnte. Das gilt ebenso im Privaten, wenn eine Liebe endet und ein Rosenkrieg beginnt, aus dem einer als Sieger hervorzugehen glaubt – The winner takes it all , wie die Popgruppe ABBA 1980 ein bitteres Lied betitelte:
Es gibt nichts mehr zu sagen
Kein Ass mehr auszuspielen
Der Gewinner bekommt alles
Der Verlierer bleibt klein
Mit dem Sieg
Ist dies das Schicksal beider
Die Rollen können sich aber noch ins Gegenteil verkehren, und zum dynamischen Element dafür wird ausgerechnet die Unzufriedenheit des Verlierers nach Enttäuschungen, Niederlagen, Misserfolgen, Ärger, Streit und Dingen, die schiefgelaufen sind. Sie stößt Veränderungen und Verbesserungen an, eine neue Entwicklung kommt in Gang, die den Sieger in absehbarer Zeit alt aussehen lässt. Enttäuschungen können groß sein, aber sie sind das Ende einer Täuschung, der jemand unterlag, und der Anfang einer anderen, die besser begründet ist, sodass sie länger vorhält. Niederlagen rütteln Menschen wach, aus ihnen ist viel zu lernen. Misserfolge machen den Boden unter den Füßen wieder fühlbar, der vielleicht der Boden des Abgrunds ist, aber von dort aus kann es nur noch aufwärts gehen, während es vom Gipfel des Erfolges aus nach allen Seiten nur noch abwärts geht.
Kann es irgendwelche Zweifel daran geben, wie wichtig es ist, Enttäuschungen, Niederlagen und Misserfolge zu erleben? Sie könnten mehr geschätzt werden, aber das liegt den wenigsten nahe. Und da niemand darauf erpicht ist, sich solcheErfahrungen selbst zu verschaffen, sind dafür Andere nötig, Gegner, Feinde, widrige Situationen, missliche Dinge. Ihnen gebührt Anerkennung für die Erfüllung der Aufgabe, auch wenn das in der gegebenen Situation befremdlich erscheint.
Siegen ist reizvoll, sonst würde niemand siegen wollen. Der Reiz besteht im Gewinn von Macht , aber die Sinnlosigkeit des Siegenwollens zeigt sich darin, dass es dabei nicht bleibt: Der Sieger von heute ist der Verlierer von morgen, denn jede überbordende Macht ruiniert zuverlässig sich selbst. Sie übernimmt sich und unterläuft sich, das scheint ein Grundgesetz zu sein, unabhängig davon, wer es ist, der sich im Vollgefühl der Macht sonnt. Die Seiten des Kapitels »Dauerhafte Macht« stechen im Geschichtsbuch der Menschheit durch gähnende Leere ins Auge, während die ehrgeizigen Versuche zu »Tausendjährigen Reichen« viele Seiten füllen.
Insofern kann man dem Aufstieg von Mächtigen immer sehr gelassen zusehen: Wer Macht gewinnt, verliert sie wieder, mag es auch eine Weile dauern. Der Sieger schreibt die Geschichte? Davon sind viele überzeugt, aber die Geschichte überdauert den Sieger bei weitem, denn sie hat alle Zeit der Welt: Künftigen Geschichtsschreibern offeriert sie reichlich Gelegenheit, in den Trümmern der Vergangenheit eine andere Geschichte auszugraben, und kommenden Siegern ermöglicht sie, die Geschichte wieder und wieder umzuschreiben.
Das zentrale Problem jeder Macht in der »großen« politischen oder »kleinen« privaten Geschichte ist der Verlust an Sensibilität , der mit einem Machtgewinn fast zwangsläufig einhergeht: Wer mächtig ist, hat es nicht nötig, sensibel zu sein. Es ist aber gerade dieser Verlust an Sensibilität, der im Laufe der Zeit jede Macht untergräbt: Damit, dass sie ihre Wirkung und die äußere Wirklichkeit nicht mehr wahrnimmt, beginnt ihr Siechtum bis zum Tod. Sensibilität ist ein Element der Ethik, sie stärkt die Disziplin und Selbstmächtigkeit, die einen Aufstieg ermöglicht und vor Arroganz und Herablassung bewahrt; mit der Selbstachtung begründet sie eine Achtung für Andere. Mit dem Verlust der Sensibilität aber verliert der Mächtige die Werte, die ihn so weit gebracht haben. Das Schwinden jeglicher Ethik höhlt die Macht von innen aus, bis ihr etwas von außen entgegenschlägt, das schlimmer ist als aller Hass: Verachtung, die die moralische Niederlage besiegelt. »Ein niederträchtiger Sieg ist kein Ruhm, vielmehr eine Niederlage« (Gracián, Handorakel , Aphorismus 165).
Dass gewöhnlich nur der
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