Dem Leben Sinn geben
behaupten. Attacken muss er nicht mit Gegenattacken beantworten, sondern kann die Angriffe mit der spiegelglatten Oberfläche seines Schweigens auf den Angreifenden selbst zurückwerfen. Der Andere möchte sich mit mir duellieren? Aber ich möchte, dass er sich mit sich selbst duelliert. Er hat mich beleidigt? Aber ich fühle mich nicht so.
Und am süßesten ist die Rache, die sich restlos verliert. Sie wird auf dem längeren Umweg der Übertreibung möglich, nicht mit Blick auf den Übeltäter, sondern auf das eigene Selbst, das ein erlittenes Unrecht nicht verdrängt, sondern in Gedanken und Gefühlen unentwegt wiederkäut. In der endlosen Wiederholung und Durcharbeitung stellt sich irgendwann ein tief empfundener Überdruss ein: »Es interessiert mich nicht mehr!« Ärgert das Desinteresse nun den Anderen? All seine Taten und Untaten – das alles soll für nichts gewesen sein?
Wie kommt es überhaupt zum Bedürfnis nach Rache? Ein Konflikt ist entstanden, jemand hat Streit vom Zaun gebrochen, jedenfalls sieht das einer so. Und auch ohne offenen Streit führen unterschiedliche Sichtweisen zur angespannten Situation zwischen Einzelnen oder Gruppen, auch zwischen ganzen Gesellschaften. Einer wähnt sich dem Anderen unterlegen, ist nicht einverstanden mit dem, was er sagt oder verschweigt, tut oder lässt, fühlt sich unfein und ungerechtbehandelt oder wird wirklich gedemütigt und verletzt, körperlich, seelisch, geistig. Unbeteiligten kann eine Anfeindung harmlos erscheinen, der Betroffene jedoch weiß, wie sich das anfühlt und welche Energien das in ihm aufglühen lässt, während sich sein Seelenraum verengt und zum kochenden Kessel wird. Sämtliche verfügbaren Kräfte sind mit der Anfeindung befasst und somit dem Denken entzogen, das kaum noch in der Lage ist, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sinn bezieht ein Mensch in dieser Situation nur noch aus dem Ziel, es dem Anderen »heimzuzahlen«, eine erstaunliche Kreativität konzentriert sich ganz und gar auf die Mittel und Wege dazu, kein Umweg und Abweg erscheint der aberwitzigen Phantasie des Rächenden absurd genug. Rachegelüste überkommen einen Menschen auch dann, wenn nicht er selbst, sondern ein Anderer, der ihm etwas bedeutet, angefeindet wird oder sich so fühlt, und erst recht, wenn diesem Menschen wirklich etwas angetan wird.
Strategien der Konfliktvermeidung lassen es gar nicht erst so weit kommen. Sie sind eine erste Möglichkeit für den, der in der Lage ist, mit natürlichem Geschick und erworbenem Wissen frühzeitig gegenzusteuern. Er kann ausweichen, sich mit Kritik zurückhalten, seine Position bedeckt halten, sich kompromissbereit zeigen und bereit sein zu kooperieren, statt zu provozieren und mit immer noch einem weiteren Wort an der Schraube der Eskalation zu drehen.
Wenn der Konflikt aber unvermeidlich ist, zielen Strategien der Konfliktbewältigung darauf, die gegensätzlichen Positionen auf faire Weise zu Wort kommen zu lassen und die Auseinandersetzung gewaltfrei in jedem Sinne auszutragen. Grundsätzlich kann der, der unter einer Anfeindung leidet und sich verletzt fühlt, sich auch einfach sagen, dass der Andere es wahrscheinlich nicht persönlich meint, vielleicht sogar sich selbst meint. Auf dieser Basis wird es eher möglich, bald wieder zur »sachlichen Auseinandersetzung« zurückzukehren. Zwar geht es bei Auseinandersetzungen nie nur um Sachen, immer auch um Personen, diese aber können sich bemühen, »sich zurückzunehmen«.
Strategien der Konfliktlösung sorgen schließlich dafür, dass keiner sein »Gesicht verlieren« muss, jeder also sein Ansehen in den eigenen Augen und den Augen Anderer bewahren kann. Das gelingt, wenn die Verhältnisse so lange austariert werden, bis eine Win-Win -Situation entsteht, bei der jeder auf seine Weise zum Sieger wird, da er etwas gewinnt, das so attraktiv für ihn ist, dass er keinen Anlass mehr für irgendwelche Rache sieht.
Sollten die Beteiligten dies nicht selbst zuwege bringen, da sie zu sehr unter dem Eindruck dessen stehen, was zwischen ihnen geschehen ist, können sie eine Mediation zu Hilfe nehmen, bei der ein allparteilicher Dritter, der sich mit eigenen Vorschlägen zurückhält, die Beteiligten durch ein Einigungsverfahren führt (Leo Montada und Elisabeth Kals, Mediation , 2007). »Alte Geschichten« können dabei zum Vorschein kommen, eigentliche Motive, Erwartungen und Interessen werden hinter den jeweiligen Positionen erkennbar, auch Beziehungen zu Anderen können
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