Dem Leben Sinn geben
Spiel kommt es in erster Linie an. Wird mit dem Kauf selbst dann der ontologische Übergang zur Wirklichkeit vollzogen, stellen sich nicht selten die üblichen Folgen einer Ernüchterung ein, der Zauber der Möglichkeiten verfliegt, die Wirklichkeit ist langweilig, Mängel kommen zum Vorschein, dasGekaufte passt nicht so recht und eigentlich braucht man es gar nicht.
Viele träumen davon, viel Geld zu haben, aber beim Viel und Zuviel können unerwünschte Nebenwirkungen auftreten: Es kann Orientierung rauben und Haltlosigkeit nach sich ziehen. Besitzende sind von der Angst besessen, alles wieder zu verlieren. Den festen Rahmen enger Verhältnisse, der Anderen Mühe macht, aber klare Orientierung gibt, müssen sie entbehren, und fatal wird es, wenn auch andere Möglichkeiten, Halt zu finden, entfallen: Vornehme Zurückhaltung, demütige Bescheidenheit, starke Religiosität, wie der Schweizer Pfarrer und Schriftsteller Jeremias Gotthelf sie in seinem Roman Geld und Geist von 1843/44 beschwor.
Es gibt keinen Grund zur Romantisierung des Reichtums , denn die Besitzenden sind mit Schwierigkeiten konfrontiert, die nicht harmlos sind, wenngleich sich das Mitleid in Grenzen halten darf. Alles können sie sich leisten, aber genau dadurch verliert alles an Wert. Nichts Besonderes ist für sie, was für Andere hinreißend ist. Noch dazu sind sie den Nachstellungen derer ausgesetzt, deren Geschäftsidee es ist, ihnen so viel Besitz wie möglich abzunehmen. Unabdingbar für den Lebenssinn ist, in vertrauensvollen Beziehungen leben zu können, aber wem können Besitzende vertrauen? Selbst bei den engsten Beziehungen können sie nicht sicher sein, ob die Liebe wirklich ihrer Person gilt, und das Geld, das einer allzu sehr liebt, kann in der Beziehung zwischen zweien das störende Dritte sein. Noch dazu sind diejenigen, die erben können, nicht immer frei von der Versuchung, schon etwas ungeduldig zu warten. Zu allem Überfluss vergleichen sich Besitzende gerne mit denen, die mehr besitzen, um dann an Neid zu leiden. Daher beginnt, wenn die materiellen Sorgen enden, nicht etwa das wahre Leben, eher beginnt die verzweifelte Suche danach, ohne dass klar wäre, wo jetzt noch gesucht werden könnte. Vielleicht dort, wo »einfachere Verhältnisse« zu finden sind?
Die Knappheit des Geldes, das Wenig und Zuwenig gibt dem Leben einen Rahmen, mit dessen Verlässlichkeit fest zu rechnen ist, auch wenn das gewöhnlich wenig geschätzt wird. Aus der Notwendigkeit, materielle Ressourcen erst erarbeiten zu müssen, ergeben sich klar definierte Ziele und Zwecke, mithin ideeller Sinn. Schon ein Kind ist mächtig stolz auf den Tretroller, für den es einige Zeit selbst gespart hat. Wenn es aber umstandslos haben kann, was es will, kann es nicht mehr auf ein künftiges Ziel hinarbeiten. Dinge werden uninteressant, wenn es ohne Anstrengung möglich ist, sich Wünsche zu erfüllen oder sie erfüllt zu bekommen. Unbegrenzte Verfügbarkeit begünstigt Wertlosigkeit. Alles gewinnt hingegen an Wert, wenn es begrenzt ist, und wird umso wertvoller, je begrenzter es ist: Phänomen von Edelsteinen im Unterschied zu Kieselsteinen.
Dennoch gibt es keinen Grund zur Romantisierung der Armut , des Mangels an Geld und Besitz: Im Unterschied zu den meisten Besitzenden wollen die meisten Nichtbesitzenden ihren Zustand gerne hinter sich lassen. Lebensangst kennen sie aus anderen Gründen als die Wohlhabenden, denn ihr Leben hängt von den Möglichkeiten des Lebensunterhalts ab. Ihren Kindern können sie nicht das bieten, was für andere Kinder selbstverständlich ist, womöglich auch nicht die Bildung, die die Startbedingungen für ein anderes Leben verbessern könnte. Und Beziehungen zerbrechen auch hier, wenngleich es nun die ewige Entbehrung ist, die sie unterminiert: Knappheit generiert Stress und Streit. Einer hofft darauf, mit einem anderen Anderen, der über mehr materielle Mittel verfügt, mehr Glück und Sinn kennenzulernen: Endlich sich etwas leisten zukönnen, nicht ständig aufs Geld schauen zu müssen… Menschen tun alles fürs Geld? Nein, sie tun alles für das Verfügen über Möglichkeiten. Geld ist ein Mittel zu diesem Zweck, Selbstsicherheit und Selbsterweiterung sind damit verbunden.
Fehlt es zu sehr an materiellen Mitteln, verleitet dies einige dazu, »die Gesellschaft« dafür verantwortlich zu machen, und wenn die nicht reagiert, sind sie fortan desinteressiert an ihr, asozial in diesem Sinne: Die Gesellschaft braucht sie nicht, also ist
Weitere Kostenlose Bücher