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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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letzte Akt einer lustvollen oder qualvollen Selbstpeinigung bis hin zur Selbsthinrichtung . Freunde wollen den Delinquenten vielleicht noch vor seinem Henker bewahren: »Das kannst du nicht machen!« Aber der Mensch selbst ist der Souverän seines Lebens, auch wenn er nicht mehr souverän sein kann. Mehr als das Leben ist der Tod das Eigentum eines Menschen, das niemand ihm nehmen kann. Er will so handeln und kann vielleicht nicht anders, wer wüsste das letztlich zu beurteilen, etwa bei der Soul-Sängerin Amy Winehouse, die 2011 im Alter von 27 Jahren starb. You’re wondering now – die letzten Zeilen dieses Lieds sang sie bei ihrem letzten Auftritt in Belgrad nicht mehr selbst, sondernlauschte ihnen entgeistert nach, geradezu empört darüber, was ihr da vorgesungen wurde:
    Du fragst dich nun, was du tun sollst, jetzt, da du weißt, dass dies das Ende ist
    Du fragst dich, wie du bezahlen wirst für all das, was du getan hast
    Der Todeswunsch wird in manchen Menschen so übermächtig, dass es kaum zu begreifen ist. Gerade nach dem freudigen Ja zum Leben kann ein Mensch zum bewussten Nein übergehen, Alice McGovern beispielsweise, eine 18-jährige angehende Chemiestudentin, die eben erst einen glücklichen Sommer verbracht hatte, als sie sich 2005 von den Klippen der englischen Südküste in East Sussex stürzte. Aus ihren Abschiedsbriefen sprach keinerlei Enttäuschung, keine Depression, eher hielt sie ihr Leben nach einem Sommer des »wahren Glücks«, für das sie sich bei ihrem Freund bedankte, bereits für erfüllt. Sie bemerkte an sich die völlige Abwesenheit des Wunsches weiterzuleben, niemand solle sich dafür verantwortlich fühlen: »Das Leben ist einfach nichts für mich. Ich bin nicht von Gram erfüllt, wenn ich dies schreibe. Ich will einfach nicht länger leben, und der Gedanke an den Tod schreckt mich nicht.«
    Bot ihr das Leben keinerlei Herausforderung mehr? Löste sich für sie der Unterschied zwischen der Wirklichkeit des Lebens und der Möglichkeit des Todes auf? Hätte ein Gespräch alles verändert? Diese Fragen beunruhigen die »Hinterbliebenen«, die sich einsam und verlassen fühlen wie in einer tristen Bahnhofshalle, aus der der Zug mit dem geliebten Menschen gerade abgefahren ist. Was ihnen bleibt, ist Hermeneutik , die Deutung, ob das Leben für den, der ging, bedeutungslos oder erfüllt von Bedeutung war. Alles Leben endet irgendwann,aber der Mensch, der vorzeitig geht, besiegelt mit seinem Tod die Wahrheit seines Lebens, die er allein kennt, und vielleicht auch er selbst nicht. Er tritt die Reise in sein größtes Abenteuer an, in ein anderes Leben oder ein Nicht-Leben, von dem manche glauben, es sei ein Nichts, aber auch das ist nur eine Deutung. Keiner der Lebenden wird je wissen, was da wirklich geschieht.
    Es ist sinnlos, darüber zu diskutieren, ob eine Selbsttötung »erlaubt« ist: Sie ist möglich und ein Mensch kann sie vollziehen. Im Falle einer fehlenden Erlaubnis dürfte es schwierig sein, ihn dafür zur Rechenschaft zu ziehen. Auch gemeinsam kann die Selbsttötung vollzogen werden, eine Liebe bis in den Tod in diesem Sinne: »Jeder von uns möchte den anderen nicht überleben müssen«, schrieb der Sozialphilosoph André Gorz in seinem letzten Buch Brief an D. – Geschichte einer Liebe , das 2007 erschien, kurz bevor er und seine Frau Dorine nach fast 60 Jahren Zusammensein gemeinsam aus dem Leben schieden. Allenfalls dann, wenn dem, der in den Freitod gehen will, die Freiheit zu diesem Schritt zugestanden wird, können ihm zur rechten Zeit noch ein paar Fragen gestellt werden: Ist er sicher, diesen äußersten Schritt nicht irgendwann noch zu bereuen, wie es vielfach schon nach misslungenen Versuchen geschehen ist? Ist es gewiss, dass nach einem gelungenen Versuch jedes Leben zu Ende ist? Und wenn nicht? Hat er ausreichend bedacht, wie sein Schritt sich auf Andere auswirkt, die mit diesem Tod noch lange zu leben haben?
    Fragen stellen sich aber auch für den, der mit dem Sterbewilligen zu tun hat: Ist es ein Akt der Freundschaft und der Liebe, der Menschen- oder Nächstenliebe, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, mit welchen Mitteln? Oder besteht ganz im Gegenteil die Freundschaft, Liebe, Menschen- oderNächstenliebe darin, ihm behilflich zu sein? Könnten Andere darin wiederum eine unterlassene Hilfeleistung angesichts eines Menschen in Not sehen? Insbesondere stellen sich solche Fragen beim Verlangen eines Menschen nach passiver Sterbehilfe , wenn ein Anderer ihm

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