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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Beihilfe zur Selbsttötung leisten soll. Die Kunst des Liebens kann diesen letzten Liebesdienst noch umfassen, der keine Tötung und kein Mord ist, da er alle Verantwortung bei dem belässt, der den letzten Schritt geht. Liebe bis in den Tod kann bereits die seelisch-moralische Unterstützung bei einer passiven Selbsttötung sein, bei einer Verweigerung des Essens und Trinkens oder bei der Entscheidung, einem ärztlichen Rat nicht länger zu folgen. Erst recht kann dies für den praktischen Beistand bei einer aktiven Selbsttötung gelten, die der Sterbewillige selbst vollzieht, für die er jedoch darauf angewiesen ist, dass ein Anderer ihm die Mittel besorgt, wenn er sie sich nicht mehr selbst beschaffen kann.
    Sehr im Unterschied zur passiven ist die aktive Sterbehilfe allein in der Hand Anderer, wenn der Sterbewillige weder passiv noch aktiv in der Lage ist, den erwünschten Tod selbst herbeizuführen. Es handelt sich um eine Tötung , wenn auch auf Verlangen, und womöglich um Mord , wenn das Verlangen bezweifelbar ist. Aus guten Gründen trägt die Gesetzgebung eines Landes Sorge dafür, hier enge Grenzen zu ziehen: Die Autonomie des Einzelnen zu achten, erfordert auch, ihn vor unliebsamen heteronomen Übergriffen zu schützen. Der selbstverantwortlichen Freiheit eines Menschen, auf eigenen Wunsch aus dem Leben scheiden zu können, steht die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber, ihn davor zu bewahren, an einer »Überdosis Liebe« sterben zu müssen, wenn Andere beispielsweise danach gieren, möglichst bald erben zu können.
    Älter werdende Menschen ängstigen sich nicht von ungefähr davor, Anderen hilflos ausgeliefert zu sein. Einer zynischen Sterbehilfe stünde nichts mehr im Weg, wenn ein Mensch von der Sinnlosigkeit seines Weiterlebens überzeugt werden würde, wie Thomas Morus dies bereits 1516 in Utopia beschrieb: Er »endigt sein Leben entweder freiwillig durch Enthaltung von Nahrung oder wird eingeschläfert und findet Erlösung, ohne vom Tode etwas zu merken« (Jean-Pierre Wils, Sterben. Zur Ethik der Euthanasie , 1999, 103).
    Die Vorsicht gebietet allen Beteiligten, bei einer aktiven Sterbehilfe jeden Schritt nur nach reiflicher Überlegung mit vielen Zweifeln und Skrupeln zu tun, damit das selbstbestimmte Lebensende, das als große Hoffnung erscheint, nicht noch zum finalen Entsetzen wird. Das ist der Sinn gesetzlicher Bestimmungen , wie sie in den Niederlanden seit 2002 in Kraft sind. Sie sollen sicherstellen, dass der Todeswunsch wirklich der Wille des Patienten ist, der unheilbar krank ist: Nur dieser Grund kommt in Betracht. Der behandelnde Arzt muss für die Erfüllung von Sorgfaltskriterien bürgen, deren Einhaltung eine Kontrollkommission überprüft. Andere Ärzte müssen bestätigen, dass der Sterbewillige unheilbar krank ist und seinen Entschluss nicht mehr selbst in die Tat umsetzen kann. In der Beratung mit seinem Arzt muss der Patient zur Überzeugung kommen, dass es keine andere annehmbare Lösung für ihn gibt. Seine Entscheidung muss wohlüberlegt sein und wiederholt bekundet werden, um auszuschließen, dass es sich um eine momentane Gefühlsaufwallung handelt. Dann erst kann die aktive Sterbehilfe von einem Arzt, von niemandem sonst, vollzogen werden.
    Aktive Sterbehilfe kann auch die Konsequenz einer Patientenverfügung sein, mit der ein Mensch vorweg auf lebensrettende Maßnahmen im äußersten Fall verzichtet, wenngleich schonso mancher, der nach Eintreten dieses Falls doch wieder zu Bewusstsein kam, seine frühere Verfügung widerrief. Andere als der Betroffene sollen hier aktiv werden, aber in keinem Fall kann der behandelnde Arzt dazu gezwungen werden, denn es gibt keine Pflicht zur Tötung eines Menschen, auf welche Weise auch immer.
    Sollte ein Mensch nicht mehr entscheidungsfähig sein, da sein Gehirn irreversibel geschädigt ist und die Hirnströme versiegen, können und müssen Ärzte, die Mitglieder einer Ethikkommission und die nächsten Angehörigen eine Entscheidung treffen. Liebe bis in den Tod kann dann heißen, dem Abschalten der lebenserhaltenden Systeme zuzustimmen, und ein Grund dafür kann sein, dem Betroffenen ein Dahinvegetieren zu ersparen, das mutmaßlich nicht in seinem Sinne ist. Unklar bleibt, ob diese Art von Sterbehilfe eine direkte oder indirekte Tötung ist. In diesem Graubereich bewegt sich auch, was in der Praxis häufig geschieht: Die Überdosierung eines schmerzstillenden Medikaments, die mehr oder weniger »versehentlich« zum Tode führt,

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