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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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(»generalisierte Reziprozität«). Anders als bei der Nutzen- und Lustfreundschaft können die Freunde sich wechselseitig für einige Zeit sogar eine Zumutung sein, ohne dass dies die ganze Beziehung in Frage stellen würde. Die Pflege dieser Art von Freundschaft braucht gleichwohl Zeit, die in moderner Zeit niemandem mehr in beliebigem Maße zur Verfügung steht: Aus diesempragmatischen Grund kann es zwar viele gute Freunde geben, bestenfalls jedoch mehrere beste Freunde, beste Freundinnen.
    Als Grundlage aller Arten der Freundschaft bringt Aristoteles zuletzt noch eine weitere ins Spiel, die nicht jeder im Blick hat und die zuweilen mit einem zweifelnden Auge betrachtet wird: Die Freundschaft mit sich selbst, die Selbstfreundschaft ( philautia , NE 1166 a ff.). Der maßvolle Anteil an Narzissmus in dieser Beziehung kommt deutlicher zum Ausdruck, wenn von »Selbstliebe« die Rede ist. Sie verträgt sich dennoch gut mit der Freundschaft, denn keiner muss sich selbst aufgeben, um ein Freund sein zu können, ganz im Gegenteil: Wer mit sich im Reinen ist und sich selbst mag, der kann auch Andere mögen und für sie da sein. Gerade dann, wenn das Bedürfnis nach Selbstwert befriedigt ist, wächst die Fähigkeit zur Wertschätzung Anderer. Erscheint das eigene Selbst schön und bejahenswert, ist dieser Wert auch auf Andere übertragbar, die ihrerseits schön und bejahenswert erscheinen und in denen das Selbst sich spiegelt. Das Selbst, das sich bejaht, kann Andere nicht zuletzt deswegen bejahen, weil das eigene Leben schöner wird durch das Leben mit ihnen.
    »Indem man den Freund liebt, liebt man das, was für einen selbst gut ist« (NE 1157 b 33 f.). Auf der Basis der ästhetischen Ethik des Selbst kommt also die Ethik der Freundschaft zustande, und in dem Maße, in dem das Selbst daraufhin von Anderen bejaht wird, bejaht es wiederum sich selbst, denn die Wertschätzung für sich wird von der Wertschätzung durch Andere bestärkt. Bleibt die Bejahung durch Andere aber aus, kann das Selbst nur bei sich selbst den Anfang machen und mit seiner Selbstbefreundung die Grundlage dafür schaffen, wieder zu einem wertvollen Gegenüber für Andere zu werden.
    Eine Neuerung im 21. Jahrhundert ist darüber hinaus eineArt von Freundschaft, von der Aristoteles noch nichts ahnen konnte. Die virtuelle Freundschaft entfaltet sich in reichem Maße im Internet, in diesem technisch erzeugten Raum, der viele fasziniert, da es ein Raum unendlicher Möglichkeiten ist, der geradezu eine transzendente Erfahrung vermittelt: Kein bloßes Dasein mehr leben zu müssen, sondern näher am Sein leben zu können, das wesentlich ein Möglichsein ist. Mithilfe globaler elektronischer Medien wird die virtuelle Freundschaft in sozialen Netzwerken wie Facebook gepflegt, das 2004 gegründet wurde. Freundschaft heißt hier zunächst, Kontakt zueinander aufzunehmen. Was zählt, ist die Vielzahl der Kontakte, nicht etwa mit einem oder wenigen Anderen, sondern mit möglichst vielen, mit denen es im Einzelfall bei einem oder wenigen Kontakten bleibt. Die bloße Zahl der Kontakte soll Außenstehenden demonstrieren, welche Bedeutung das Ich für Andere hat, die ihm öffentlich und für alle sichtbar den Titel »Freund« zusprechen. Die Beteiligten müssen sich nicht wirklich kennen, beliebige Identitäten können vorgeschoben werden, insofern handelt es sich nicht unbedingt um eine Beziehung von Person zu Person.
    Es besteht aber die Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu kommen, denen man im realen Leben nie begegnen oder die man nicht beachten würde: Menschen aus allen sozialen Schichten, aus den unterschiedlichsten Kulturen und Ländern, aus verschiedensten Berufen und Tätigkeiten können miteinander kommunizieren, unabhängig vom Status, ohne Ansehen der Person und ohne auf das Äußere zu achten, das bei der realen Begegnung eine große Rolle spielt. Menschen mit Behinderung können teilhaben, ohne auf die Berührungsängste zu stoßen, die ihnen sonst so oft zu schaffen machen. Und aus jeder virtuellen Begegnung kann eine reale werden, mit derChance, auch im analogen Raum eine Freundschaft zu begründen, wenngleich mit der Gefahr unguter Folgeerscheinungen, wenn eine vorgetäuschte Wirklichkeit zur Enttäuschung führt.
    Es kann sich bei virtuellen Kontakten erneut um Nutzen- und Lustfreundschaften handeln. Der Nutzen besteht darin, den privaten, auch den schulischen, universitären und geschäftlichen Austausch mit Anderen unproblematisch pflegen zu

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