Dem Leben Sinn geben
In den ersten Erfahrungen finden sich die künftig möglichen schon angedeutet, die über Jahre hinweg zu machen sein werden, aber die Pflege der Freundschaft ist dazu da, das weitere Zusammensein nicht mehr dem Zufall zu überlassen. Das Glück wird zum Ergebnis einer beharrlichen Anstrengung, die erforderlich ist, um die Beziehung mit Leben zu füllen: »Hast Du nun einen solchen treuen Freund gefunden, so bewahreihn auch! Halte ihn in Ehren, auch dann, wenn das Glück Dich plötzlich über ihn erhebt, auch da, wo Dein Freund nicht glänzt« (Knigge, II, 6, 6).
2. Glück sind die schönen Erfahrungen miteinander , die vielen großartigen Stunden, die Freunde miteinander verbringen und die ihr Wohlfühlglück ausmachen, oft einhergehend mit dem köperlichen Sinn sinnlicher Erfahrungen: Miteinander Musik zu hören, etwas zu trinken, auch Trinkgelage zu feiern, gemeinsam zu essen, Ausflüge und Reisen zu unternehmen, tanzen zu gehen, einander schön zu finden und zu berühren (häufiger bei Freundinnen als bei Freunden), nächtelang zu reden und sich »herumzutreiben«, danach sich zu entspannen und zu chillen . In glücklichen Zeiten verdichten sich die schönen Möglichkeiten des Lebens zur punktförmigen Wirklichkeit eines Augenblicks, zu einem Moment voller Energie, einem Ewigkeitsmoment , der nie vergehen soll. Die Freunde lieben diese Zeiten und haben dennoch kein sonderlich großes Problem damit, dass sie nicht ewig währen, denn in der Regel kehren sie zuverlässig wieder. Woher aber kommt dieses Glück, wenn es kommt? Wohin geht es, wenn es geht?
Denkbar ist, dass die Energie, die in solchen Zeiten erfahrbar wird, einem Kontinuum entstammt, in dem sie immer vorrätig ist, und dass sie zwischendurch in andere Formen übergeht, bevor sie in irgendeiner Form wiederkehrt. Fraglos fügen die Freunde sich in den Prozess, der ohnehin nicht aufzuhalten ist. In der Erinnerung können die schönen Erfahrungen lange in ihnen nachklingen, viele davon ein ganzes Leben lang. Im Rückblick ist es reizvoll, sich daran zu erinnern, »was wir schon alles miteinander erlebt haben«, auch problematische Episoden will dann keiner mehr missen: »Weißt du noch, damals?« Der Zusammenhalt wird auf diese Weise gefestigt,die Kontinuität durch alle Erfahrungen hindurch stärkt die Beziehung und gewährt allein schon durch den zeitlichen Zusammenhang Sinn.
3. Glück ist das intensive Gefühl füreinander , die innere Nähe und die wechselseitig gefühlte Berührung, die für seelischen Sinn sorgt. Ist der Glaube an eine Seele nicht hoffnungslos antiquiert in einer Zeit, in der das materielle Funktionieren aller Dinge vollkommen durchschaubar geworden ist? Aber Materie kann als erkaltete Energie verstanden werden, die Seele als Energie im angeregten Zustand, die Menschen aufleben lässt und in Bewegung setzt. Jede Bewegtheit in Gefühlen erscheint als Ausdrucksform der zugrundeliegenden Energie, und je vertrauter die Beziehung, desto freier können die Energien der Beteiligten ineinanderfließen und sich potenzieren.
Das geht in der Freundschaft weniger als in der Liebe mit Gefühlsausbrüchen einher, mehr mit dem ruhigen Wohlgefühl, einander zugetan zu sein, Sympathie und zuweilen Bewunderung füreinander zu empfinden. Es handelt sich oft nur um eine Hintergrundemotion , die unbewusst bleibt und dennoch wirksam ist: Es macht mich anhaltend glücklich, einen Menschen zu kennen, der etwas für mich fühlt und ich für ihn, bei dem ich Verständnis finde und er bei mir, bei dem ich Privilegien genieße und er wiederum bei mir. »Freunde sind Menschen, die dich mögen, obwohl sie dich kennen« (Eckart von Hirschhausen, Glück kommt selten allein , 2011, 127). Auf der Grundlage der Zuwendung zueinander und der langen Erfahrung des Umgangs miteinander entwickelt sich ein Gespür füreinander , das jeden im Laufe der Zeit ziemlich genau wissen lässt, was der jeweils Andere mag und wogegen er Abneigung hegt, was ihm guttut und was eher nicht, was er gut kann und was ihn überfordert. Ist das Gespür wechselseitig, wird dieFreundschaft mit der Zeit intensiver und ist weniger als die leidenschaftliche Liebe vom Verfall in der Zeit bedroht.
4. Glück ist das ständige Gespräch miteinander , bei dem geistiger Sinn durch unablässig neue gedankliche Verknüpfungen und die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden entsteht – in Anlehnung an Überlegungen, die Heinrich von Kleist für einen »sinnreichen Freund« anstellte.
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