Dem Leben Sinn geben
können. Die Lust besteht darin, in Echtzeit am Leben Anderer beteiligt zu sein, ohne dass sie anwesend sein müssen, in der jederzeit möglichen Kommunikation Gemeinschaft zu erfahren und sich der eigenen Existenz zu versichern. »Ich möchte mich verbinden. Ich möchte nicht aufhören zu existieren«, sagt ein amerikanisches Mädchen am Ende des Films, der aus Youtube-Videos vom 24. Juli 2010 aus aller Welt zusammengestellt wurde ( Life in a Day , Regie Kevin MacDonald, 2011). Niemand muss länger einsam und verlassen vor sich hinleben, jede und jeder kann sich ständig von Anderen umgeben fühlen, auch wenn diese nur marginale Lebenszeichen von begrenzter Wichtigkeit von sich geben: »Maria ist jetzt online.« »Karl gefällt dieses Foto.« »Isabelle hat ihr Profilbild geändert.« »Max hat die Führerscheinprüfung bestanden.«
Mithilfe sozialer Netzwerke können zudem auch wahre Freundschaften gepflegt werden, meist auf der Basis bereits bestehender realer Beziehungen. Für diese und jede andere Art von Freundschaft kann der virtuelle Raum zu einem Element der Lebenswirklichkeit der Freunde werden, zur Plattform für den Austausch von Informationen, fürs alltägliche Plaudern und für gemeinsame Spiele. Jede räumliche Entfernung verschwindet, umständliche zeitliche Verabredungen werden unnötig: Gehe ich online , sehe ich mit einem Blick, wer da istund werde daran erinnert, bei wem ich mich schon lange nicht mehr gemeldet habe. Digital oder analog: In jedem Fall können die Freunde sich gemeinsam auf den Weg zu einem schönen und erfüllten Leben machen. Das Glück der Freundschaft können sie in mehrfacher Hinsicht erfahren.
Das Glück, das in der Freundschaft zu finden ist
Zum Glück gehört ein Leben in Beziehung, ein Leben »in der Verflochtenheit«, wie es bei Aristoteles heißt, mit Ehegatten, Eltern, Kindern, Freunden und Mitbürgern, »denn der Mensch ist von Natur aus ein soziales Wesen« (NE 1097 b 12). Andere antike Philosophen teilen diese Auffassung: »Niemand kann ein glückliches Leben führen, der nur auf sich sieht«, schreibt Seneca im 48. seiner Briefe an Lucilius über Ethik . Von besonderer Bedeutung sei daher die »Pflege jener innigeren Verbundenheit der Freundschaft«, die dafür bürge, dass ein Mensch weder bei Glücks- noch bei Unglücksfällen allein bleibe.
In der Neuzeit setzt sich diese Wertschätzung fort: Die Freundschaft vermehre das Gute und vermindere das Schlimme, verkündet im 17. Jahrhundert der spanische Philosoph und Theologe Balthasar Gracián; sie sei das einzige Mittel gegen Unglück und ermögliche »das Freiatmen der Seele« ( Handorakel und Kunst der Weltklugheit , Aphorismus 158). Und Adolph Freiherr Knigge, der dem Umgang mit Freunden ein Kapitel in seinem viel gelesenen Buch Über den Umgang mit Menschen (1788, Zweiter Teil, Kapitel 6) widmet, ist davon überzeugt, dass ein Mensch an verlässlichen Freunden »etwa nur drei in der Welt« brauche, um glücklich zu sein (II, 11, 1). Bei genauerem Hinsehen geht es dabei jedoch um verschiedene Arten von Glück, verbunden mit unterschiedlichen Ebenen des Sinns, die die Freunde in ihrer Beziehung finden.
1. Ein Glück ist schon das bloße Dasein des Freundes, der Freundin , die Tatsache, dass es sie oder ihn gibt. Das Glück setzt mit der Begegnung ein, die dem Zufallsglück zu verdanken ist, im privaten wie im beruflichen Umfeld, analog oder digital, in der Peer Group oder in Clubs und Vereinen, beim Sport, in Chats oder Spielgemeinschaften und in der Selbsthilfegruppe derer, die in der gleichen Lebenssituation stecken und vom gleichen Schicksal betroffen sind. Anders als Liebende akzeptieren Freunde problemlos, dass es wohl reiner Zufall war, sich gefunden zu haben, und sie geben dem Ereignis im Nachhinein den Sinn einer Notwendigkeit: Das musste so sein. Auch diesem Anfang wohnt ein Zauber inne: Ein Glückserlebnis ist die Aufmerksamkeit, die vom ersten Moment an zu erfahren ist, dieses hohe Gut, diese seltene Ressource, nach der alle sich sehnen und die nur in wenigen Beziehungen zu haben ist.
Wie beglückend, dass da jemand ist, der mich im Blick hat, jemand, dem es nicht egal ist, ob ich existiere, der mich vielmehr fragt, wie es mir geht, wo ich bin und was ich mache! Eine große Lebensgewissheit resultiert daraus, dass ein Anderer seelisch-geistig bei mir ist, auch wenn er körperlich abwesend ist, dass ich jederzeit zu ihm gehen kann und mich bei ihm willkommen fühlen darf, er sich wiederum bei mir.
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