Dem Leben Sinn geben
zivilisiert, die unzivilisierten Weisen füllen das Schwarzbuch der Menschheitsgeschichte.
Bosheit ist die kultivierte Form des Bösen, eine mildere und verträglichere Form der Lust an der Grausamkeit , in der Nietzsche einen wesentlichen Antrieb des Menschseins seit frühester Zeit sah ( Nachgelassene Fragmente von 1881, KSA 9, 474). Die Bosheit ersetzt die barbarische, körperliche Form von Grausamkeit durch eine sublimierte, geistige. In der Kultivierung und Zivilisierung des Bösen, die sie bewerkstelligt, sind Ansätze, wenn nicht sogar Aufschwünge von Intelligenz zu erkennen. Auch für die Liebe zum Hass gilt: Was Menschen lieben, das pflegen sie auch, und das heißt in diesem Fall, auf gepflegte Weise mit einer boshaften Gehässigkeit hassen zu lernen und sich ebenso hassen zu lassen. Kleine Geschenke erhalten die Freundschaft? Kleine Gehässigkeiten erhalten die Feindschaft. Die Losung fürs alltäglich gelebte Leben lautet dann nicht mehr nur, »jeden Tag eine gute Tat«, sondern zur Abwechslung auch: »Jeden Tag eine kleine Bosheit.«
Die Bosheit scheint unromantisch zu sein, in Wahrheit istdie Romantik hier in ihrem Element: Zumindest die Frühromantiker verstanden unter Romantik nie nur die Steigerung und Potenzierung des Lebens ins Unendliche, etwa durch das Einssein mit Anderen und mit aller Welt. Ihnen lag immer auch das Gegenstück, die Entzweiung und Polarisierung am Herzen. Bosheit polarisiert, sie zählt zum Anderen, das wahre Romantiker magisch anzieht, Heinrich Heine kann das bezeugen.
Mit ihr ist es möglich, Feindschaft vorsätzlich zu suchen und sich Feinde zu machen, wo und wann immer es angebracht erscheint. So sind die Bosheiten zu erklären, an denen Romantiker wie Friedrich und Dorothea Schlegel ihre helle Freude hatten. Ihre anfänglich in prüder Umgebung freizügig gelebte, laszive Liebe war eine Bosheit, die zahlreiche Anfeindungen nach sich zog, und das war wohl auch die Absicht: Die destruktiven Energien der feindseligen Reaktionen sog das Paar bereitwillig in sich auf, um sie in produktive Schaffenskraft zu verwandeln. Mit verbalen Bosheiten verlachten sie Schiller, der in seinem Lied von der Glocke die »züchtige Hausfrau« besang, verschonten aber ihren poetischen Gottvater Goethe, der sie huldvoll gewähren ließ. Frei von der Versuchung zur Bosheit, eigenartig unanfeindbar zeigte sich dagegen Novalis, erfüllt von eigenen, inneren Ressourcen und daher wohl desinteressiert an menschlichen Scharmützeln, die sich ja doch nur um die allzu knappen Energien drehen, die Menschen sich streitig zu machen versuchen.
Die Skrupel von Menschen, sich boshafter Mittel zu bedienen, schwinden dahin, wenn sie sich in Kulturen der Bosheit bewegen. Unter den vielfältigen Kulturen des Planeten tun sich dabei englischsprachige in auffälligem Maße hervor, ursprünglich vielleicht erklärbar durch die nahezu ohne Unterlass tief hängenden Wolken im Mutterland, die die Erfindung der Bosheit als Methode zur Aufmunterung bei Depressionen herausforderten. Schon die englische Sprache selbst ist eine Bosheit: Scheinbar leicht zu sprechen, offenbart sie beim tieferen Eintauchen tückische Untiefen.
Zum Großmeister der Bosheit avancierte Oscar Wilde, den andere Varianten der Kommunikation nie sonderlich interessierten: Alle seine Theaterstücke und Essays zeugen von seinem einschlägigen Können; selbst der arrogante Auftritt , den er zur Kunstform der Bosheit erhob, war eine treffsichere Methode, Anfeindungen hervorzulocken, über die sich wiederum trefflich lästern ließ. Seinen schärfsten Konkurrenten in Sachen Bosheit, einen irischen Landsmann, der wie er in England lebte, charakterisierte er mit ausgesuchter Gemeinheit: »Bernard Shaw hat keine Feinde, aber seine Freunde können ihn nicht ausstehen« ( Shaw für Boshafte , Auswahlband, 2006, 118). Shaw gab zurück, Wildes Theaterstück Ernst sein ist alles habe ihn mit dem Gefühl zurückgelassen, einen Abend in den Sand gesetzt zu haben. Dass Menschen, die etwas auf sich halten, es nicht verzeihen, wenn ein Anderer sich über sie erhebt, musste Oscar Wilde bitter erfahren, als ihm der Prozess gemacht wurde. Dass die Bosheit aber auch das noch überlebt, zeigt die überwältigende Vitalität, mit der sein Werk weit über seinen Tod hinaus alle einstigen Anfeindungen hinter sich lässt.
Mit einer nachhaltigen Bosheit antwortete der Maler James Whistler auf Attacken: Er hielt sie in Buchform für die Nachwelt fest. In seiner »feinen Art,
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