Dem Leben Sinn geben
sich Feinde zu machen« ( The Gentle Art of Making Enemies , 1890), versammelte er missgünstige Kritiken, die sich gegen ihn und seine Kunst richteten und die er mit ihrer Weiterverbreitung für alle Zeiten bloßzustellendachte: Seht her, welche Idioten sich damals ein Urteil über mich anmaßten! Keineswegs hielt er sich für unschuldig daran, sein Buch trägt den Untertitel: »Unterhaltsame Beispiele, wie ich die Ernsthaften dieser Erde mit Vorbedacht zur Raserei gebracht habe«. Etwa mit einem Bild Symphonie in Weiß , dem vorgeworfen wurde, dass auch andere Farben zu sehen seien: Eine Symphonie in D-Dur, meinte er, wiederhole ja auch nicht immer nur D, D, D. Leider werde der Kunst, die »das Schöne suchen und finden« wolle, immer die Nachahmung der Natur abverlangt. Dabei bringe die Natur »nur selten ein gelungenes Gemälde zustande«, während bei einem künstlerischen Meisterwerk sogar die Götter bewunderten, »wie viel schöner die Venus von Milo ist, als es ihre eigene Eva war« ( The Gentle Art , 146). Wie wenig es ihm an Selbstbewusstsein gebrach, verrät die Widmung seines Buches: »Den Wenigen, die sich schon früh im Leben von der Anerkennung der Allzuvielen befreiten.« Einer, der 1885 seinen berühmten »Zehn-Uhr-Vortrag« in London hörte, sprang ihm bei: Kunst könne nur von einem Künstler beurteilt werden, allerdings nicht von einem Maler, nur von einem Dichter. Als Maler sei Whistler aber einer der größten, rühmte ihn gönnerhaft der Dichter Oscar Wilde: »Und ich will hinzufügen, dass Mr. Whistler dieser Ansicht ohne Vorbehalt zustimmt.«
Geschult durch die Lektüre Schopenhauers, bemühte Nietzsche sich zur selben Zeit um eine Philosophie der Bosheit . Ihm fiel auf, dass der boshafte Mensch primär eigentlich nicht das Leid seines Kontrahenten zum Ziel hat, sondern den eigenen Genuss, der sich mit dem Gefühl der Macht einstellt, sich über ihn erheben zu können. Eine finale Bosheit hörte er aus dem letzten Wort des Sokrates heraus: »Oh Kriton, ich bin dem Asklepios einen Hahn schuldig« ( Die Fröhliche Wissen s chaft , 1882, 340; mit Bezug auf Platon, Phaidon , 118 a). Dem Gott der Heilkunst, der für die Bewahrung des Lebens steht, mit dem Hahn ein Dankesopfer für den Tod darzubringen, ist eine Bosheit des Philosophen gegen die, die ihn unrechtmäßig zum Tod verurteilten: Im Tod, mit dem die Athener ihn zu strafen dachten, sieht er die Heilung von der Krankheit des diesseitigen Lebens, denn so gelangt er schneller zum jenseitigen Leben, das nach seiner Überzeugung das wahre Leben ist.
Nietzsche kennt zudem außer der bitteren Bosheit der Worte auch die »süsse Bosheit des Schweigens« ( Morgenröthe , 1881, 423), die nur noch durch eine weitere Bosheit zu übertreffen ist, die der bosheitslüsterne Zarathustra seine liebste nennt: Nämlich »dass mein Schweigen lernte, sich nicht durch Schweigen zu verrathen« ( sic! , Also sprach Zarathustra III, 1884, »Auf dem Oelberge«). Je näher Nietzsche später dem Wahnsinn kommt, desto unerschrockener fallen seine Bosheiten aus, nicht nur gegen alle Welt, sondern auch gegen Gott. Er wähnt sich damit auf dem besten Weg zur Frömmigkeit, denn der, der »zu seinem Gotte spricht: ich will dir auch mit all meiner Bosheit dienen – ist der frömmste Mensch« ( Nachgelassene Fragmente von 1882/83, KSA 10, 200).
Im 20. Jahrhundert widmete Thomas Bernhard sein ganzes Lebenswerk der Kultivierung des bösen Impulses, auf sehr eigene Weise: Mit derber Bosheit dachte er sich seine Mitmenschen vom Leib zu halten, eine Bedingung des Glücks in seinen Augen, einem Bonmot Voltaires folgend, mit dem er 1984 den Roman Holzfällen einleitete: »Da ich nun einmal nicht imstande war, die Menschen vernünftiger zu machen, war ich lieber fern von ihnen glücklich.« Mit Salven von Beschimpfungen und Kaskaden von Beleidigungen verwies er in der Tat viele erfolgreich auf Distanz und wollte sich diesen Erfolg zumindest in seinem Heimatland auch noch für die Zeit nach seinem Tod sichern: Testamentarisch legte er ein posthumes Verbot von Buchpublikationen und Aufführungen seiner Stücke in Österreich fest. Dass das seiner Popularität keinen Abbruch tat, sie im Gegenteil eher beförderte, war ihm sicherlich nicht unangenehm: Bosheit als boshafte Strategie zur Popularisierung des Unpopulären.
Gerade so, wie er Andere in Liebe dahinschmelzen sah, schwelgte er im Hass und liebte seine Feinde nur unter der Bedingung, dass sie ihm erlaubten, sie nach
Weitere Kostenlose Bücher