Dem Leben Sinn geben
denen er Gefahr liefe, sich in der Komplexität der Verhältnisse zu verheddern.
Niemand liebt das Böse, meist nicht einmal der, dem es zugeschrieben wird. In der Kunst des Liebens findet es keinenPlatz, zur Sinngebung trägt es nach allgemeiner Überzeugung nichts bei. Aber was genau »ist« es? Das ist eine Frage der Definition , die unterschiedlich ausfallen kann; je nach Definition kommt dann viel oder wenig Böses zum Vorschein: Viel , wenn jede Verfehlung dessen, was für moralisch gut gehalten wird, bereits als böse gilt (Augustinus); wenig , wenn das Böse erst die Freude an der Vernichtung Anderer sein soll (Terry Eagleton, Das Böse , 2011). Die meisten Definitionen setzen eine Intention ontologischer Destruktion voraus: Wer Böses im Schilde führt, zielt demnach planmäßig und absichtsvoll darauf, Möglichkeiten und sogar die Wirklichkeit Anderer zunichtezumachen; kein Sein und Dasein soll von ihnen übrig bleiben. Das empfinden Menschen als böse: Dass sie daran gehindert werden, die Möglichkeiten ihres Lebens zu verwirklichen, und erst recht, dass ihre Wirklichkeit oder die von Anderen, zu denen sie halten, mit Vernichtung bedroht wird.
Wer auch nur ansatzweise im Verdacht steht, dies im Sinn zu haben, und wer tatsächlich so vorgeht, weckt existenzielle Ängste und wird daher als böse bezeichnet. Da das Böse meist darin gesehen wird, wesentliche Zusammenhänge in Frage zu stellen oder zu zerstören, markiert es die »Grenzen des Sinns« (Susan Neiman, Das Böse denken , 2006). Die Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse gerät in der Folge zum ontologischen Kampf um die Bewahrung oder Zerstörung von wirklichen und möglichen Zusammenhängen. Unabhängig vom wirklichen Geschehen ist der Pol des Guten dabei fast ausnahmslos dem eigenen Ich oder Wir vorbehalten: Gute Absichten und Verhaltensweisen sind stets auf dieser Seite zu finden, und was hier unternommen wird, erscheint gut , auch wenn bei weitem nicht jeder Gute über seine Bekundungen hinaus auf wirklich gute Taten verweisen kann. Dassdie meisten Menschen so deutlich die Fähigkeit zum Guten in sich erkennen können, lässt hoffen, dass der Mensch an sich nicht grundsätzlich böse ist, wie anthropologische Pessimisten behaupten.
Problematisch ist nur, dass so viele ausgehend von den in ihren Augen und in der Gesellschaft vorherrschenden Maßstäben im Hinblick auf Andere so sicher sind, dass »die« nichts Gutes wollen können, vielmehr zu furchtbaren, unbegreiflichen Untaten in der Lage sind und sie tatsächlich verüben. Die wirklichen oder vermeintlichen Bedroher des Guten als böse zu diskreditieren, kann dann böse Handlungen gegen sie legitimieren, die aus eigener Sicht nicht böse, sondern schlicht notwendig sind. Sich selbst auf der Seite des Guten zu lokalisieren, kann in unvergleichlichem Maße die eigenen Kräfte mobilisieren.
Wahrscheinlich ist der Begriff des Guten unverzichtbar, um zumindest nach subjektivem Verständnis eine aufbauende Arbeit an Wirklichkeiten und Möglichkeiten zu bezeichnen. Wie sonst sollten Gedanken und Taten benannt werden, die konstruktiv erscheinen und es womöglich auch sind? Verzichtbar ist lediglich die Annahme, dass es sich in jedem Fall um eine Intention handelt, wonach ein Mensch es sich immer selbst aussuchen kann, gut zu sein, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, sich anders zu entscheiden.
Selbst die wirkliche Absicht, immer das Gute, nie das Böse zu wollen, hilft nicht immer weiter, denn das Problem ist, dass Intention und Konsequenz nicht dasselbe sind: Das Gute zu wollen und es zu erreichen, ist zweierlei. Eine gute Absicht, beispielsweise in der Liebe allen Wünschen des Anderen bereitwillig nachzukommen, kann böse Konsequenzen haben, wenn ihn dies zu willkürlichen Zumutungen ermuntert. Umgekehrt kann das Böse oder vermeintlich Böse, beispielsweise die Untreue, die eine Beziehung zerstören kann, unbeabsichtigt gute Folgen zeitigen, wenn der Betroffene dadurch in einer allzu bequem gewordenen Einrichtung des Lebens aufgestört wird. Aus einem Moment der existenziellen Bedrohung kann ein Anlass zur ontologischen Reflexion werden: Was ist meine Wirklichkeit, wie stehe ich zu ihr, wo sind meine Möglichkeiten, welche habe ich aus den Augen verloren? Plötzlich behauptet ein Mensch die Wirklichkeit, die ihm zu lange schon zur lästigen, lautstark oder still beklagten Selbstverständlichkeit geworden war, oder er erkennt Möglichkeiten, die er zuvor nicht sah. Es ist leider
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