Dem Leben Sinn geben
zuweilen die böse Zerstörung, die dem guten Menschen die schöpferische Aufbauarbeit erst ermöglicht, ja, ihn geradezu dazu nötigt, um weiterleben zu können.
Wahrscheinlich ist der Begriff des Bösen ebenso unverzichtbar, um zumindest aus subjektiver Sicht die ontologische Destruktion, diese wirkliche oder auch nur mögliche Zerstörung von Wirklichkeiten und Möglichkeiten zu bezeichnen: Wie sonst sollten Gedanken und Taten benannt werden, die destruktiv erscheinen und es womöglich auch sind? Verzichtbar könnte hingegen die standardmäßige Annahme einer Intention sein: Will jemand wirklich böse sein? Hat ein Täter immer eine böse Absicht? Ist er in jedem Fall frei dazu?
Absicht ist nicht auszuschließen, aber nicht in jedem Fall anzunehmen. Nicht immer handelt es sich um einen willentlichen Akt, nicht immer kann ein Mensch es sich aussuchen, böse zu sein, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, sich anders zu entscheiden. Der, der böse denkt und handelt, will zumindest für sich nur Gutes und ahnt womöglich nichts von den bösen Folgen für Andere. Vielleicht ist er selbst nur einOpfer (die Gene, die Kindheit, die Anderen, die Gesellschaft, die Wirtschaft), jedenfalls nimmt er sich selbst in den meisten Fällen so wahr, und es ist Sache derer, die darüber urteilen müssen, ob und wie sie darauf eingehen wollen.
Je nach Definition ist das Böse eben nicht nur dort, wo es die Freiheit zur Entscheidung gibt (Rüdiger Safranski, Das Böse oder Das Drama der Freiheit , 1997), sondern kann überall dort sein, wo es fundamentale Zerstörung gibt, die auch aus einer absichtslosen Zufälligkeit oder Notwendigkeit hervorgehen kann. Nicht nur Menschen, sondern auch Naturgewalten wie Fluten, Unwetter und andere Naturkatastrophen werden daher als böse wahrgenommen; »gute« Bakterien, die dem Menschen nützen, stehen »bösen« gegenüber, die ihm schaden.
Sollten die Begriffe Gut und Böse unverzichtbar sein, erscheint dennoch ihre holzschnittartige Trennung verzichtbar: Das Gute kann vom Bösen, das Böse umgekehrt vom Guten bedingt sein. Das Böse kann gerade dann in unkalkulierbarer, ruinöser Form über Menschen hereinbrechen, wenn das Gute allein herrschen soll. Böse Erfahrungen wiederum wecken die Sehnsucht nach dem Guten, das für sich genommen aber von öder Gewöhnlichkeit ist, sodass es ungute Impulse wachruft …
Auf die märchengleiche Aufteilung der Rollen zwischen dem guten Ich und Wir einerseits und bösen Anderen andererseits zu verzichten, würde jede Art der Feindesliebe sehr erleichtern. Selbst wenn einer Feindschaft die Notwendigkeit gegensätzlicher Pole des Menschseins zugrunde liegen sollte, trägt mutmaßlich jeder Mensch und jede Gruppe von Menschen diese Polarität in sich: Neben der Fähigkeit zu Lust und Schmerz, Freude und Ärger, Zufriedenheit und Unzufriedenheit eben auch die zu Gut und Böse, zum Aufbau von Möglichkeitenund Wirklichkeiten wie auch zum Raubbau an ihnen, absichtlich oder unabsichtlich, mit oder ohne Freude daran.
Die Fähigkeit zum Bösen im eigenen Selbst entrüstet von sich zu weisen und dafür auf Andere zu zeigen, dient nur dazu, die innere Polarität nicht wahrhaben zu müssen. Manche weisen sogar vom Menschen weg auf ein jenseitiges dämonisches Reich, eine Unterwelt. Dabei spricht nichts dafür, dass dem Bösen eine Bedeutung über die diesseitige menschliche Dimension hinaus zukommt. Absichtsvolle unterirdische Mächte der Zerstörung sind wohl ebenso eine menschliche Deutung wie absichtsvolle überirdische Mächte des Guten, denen dann vorgeworfen werden kann, nichts gegen das Böse zu unternehmen: Die fatale Frage, wo denn die Gerechtigkeit des Gottes bleibt, den Menschen auf das Gute allein festgelegt haben, kommt so zustande.
Das Böse außerhalb menschlicher Zusammenhänge zu betrachten, dürfte schwierig sein. Es aus der Welt zu schaffen, könnte unmöglich sein – der erforderliche Aufwand dafür könnte böse Ausmaße annehmen. Am ehesten kann sich der Ehrgeiz wohl darauf richten, Böses zurückzudrängen und seine Wucht abzumildern, um es nicht vernichtend auf das Leben durchschlagen zu lassen. Nichts spricht gegen Sanktionen, mit denen eine Gesellschaft die Reflexion vor einer möglicherweise bösen Tat anstößt, danach aber den Täter bestraft, um den Betroffenen Genugtuung zu verschaffen, eine Fortsetzung zu verhindern und im besten Fall Besserung zu bewirken.
Sollte das Böse aber Teil der Polarität des Lebens sein und sich jedem
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