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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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Herzenslust zu hassen, was er der Einfachheit halber ohne lange Befragung gleich voraussetzte. Gezielt zog er den Hass Anderer auf sich, um sich seinerseits zum Hass gegen sie berechtigt zu fühlen. Und um so genau wie möglich zielen zu können, schickte er jeder verbalen Bosheit die nonverbale einer peinlich genauen Beobachtung voraus: Seiner »Beobachtungsvorgangsweise«, wie er sie nannte, unterzog er gnadenlos alle, die ihm begegneten.
    Diabolische Freude hatte er daran, »die sogenannte bessere Gesellschaft« anzuschwärzen, die seiner Meinung nach so heißt, »weil es zur besten nie reichte«. Wenn ihm dennoch daran lag, sich in diesen Kreisen zu bewegen, dann nur, um sich über sie echauffieren zu können, denn bei ihnen ist alles » zu schön, zu perfekt eingerichtet, und dadurch unerträglich«. Verachtung wollte er ausgießen über diese Leute, die sich nicht scheuten, zu einem »unzureichenden Essen« auch noch ihre »perversen Innereien« aufzutischen und Unbeteiligte mit ihren »ordinären Ehestreitereien, wüsten Beschimpfungen, Beschuldigungssturzbächen« zu behelligen. Erst als er alle, mit denen er je zu tun hatte, verbal zu Kleinholz gemacht hat, wie es naturgemäß dem Titel Holzfällen entspricht, kommt er unvermutet zur finalen Einsicht, »dass diese Menschen, die ich immer gehasst habe und die ich hasse und die ich immer hassen werde, die besten Menschen sind«.
    Thomas Bernhard führte vor, ganz wie die antiken Kyniker, dass die Bosheit als parrhesiastischer Akt eingesetzt werden kann, als Selbstermächtigung zum Alles-Sagen ( parrhesia im Griechischen), nicht in vertrauter Beziehung, sondern in voller Öffentlichkeit, um endlich einmal geradeheraus zu sagen, was wahr ist, was jedenfalls aus subjektiver Sicht als objektive Wahrheit erscheint. Wer sich im Besitz der Wahrheit wähnt, wendet die Bosheit gerne gegen »die Anderen«. Sogar eine ethische Absicht wird dafür reklamiert, denn »einem Menschen widerfährt sozusagen Gerechtigkeit, indem ihm seine eigene Niedertracht und seine eigene Schamlosigkeit und seine eigene Stumpfsinnigkeit und Inkompetenz vorgehalten werden« ( Holzfällen , 298). Wer aber wahrhaft boshaft ist, wendet das Alles-Sagen auch gegen sich selbst, Bernhard erkennt darin sogar den einzigen »Milderungsgrund«, den er für seine Bosheiten vorzubringen hat – »ich nahm mich selbst noch viel mehr auseinander, verschonte mich nie, zerlegte mich selbst bei jeder Gelegenheit in alle Bestandteile « (83).
    Die grobe Bosheit bewegt sich im Grenzbereich zur Beleidigung, die feine Bosheit aber im Grenzbereich zur Ironie. In ihrer Subtilität hat sie es schwerer, überhaupt wahrgenommen zu werden, ihrer Kultivierung haben sich andere Autoren verschrieben. Den Ruf einer »Expertin der Boshaftigkeit« erarbeitete sich Brigitte Kronauer, die beharrlich dabei bleibt, in der Bosheit eine Spezialdisziplin von Frauen zu sehen. Nichts Neues unter der Sonne also seit Demokrit, der dies im 5. Jahrhundert v. Chr. auch schon behauptete (Fragment 273)?
    Aber vermutlich können wirklich nur Frauen Oberflächendurchschauen, die beispielsweise mit einem Lippenstift vorgetäuscht werden, »der allerdings nur noch vage die Konturen des Mundes, vielmehr dessen ungefähre Position beim Lächeln angibt« ( Die Einöde und ihr Prophet. Über Menschen und Bilder , 1996, 9). Auch Kronauer entwickelt ihre boshaften Bemerkungen auf der Basis präziser Beobachtungen, kommt aber ohne Abneigung oder gar Hass gegen die Menschen aus, die sie beschreibt. Ihre Zuneigung zu ihnen mag bisweilen etwas hinterhältig sein, beruht aber auf aufrichtigem Interesse und brennender Neugierde für die seltsamen Eigenarten seltener Exemplare, die die Menschen in ihren Augen sind. Immer ist sie bereit, sich in deren Geschichten zu verlieren, mit Sinn fürs Kuriose, Absurde und Surreale des Lebens, mit besonderem Blick für gemalte und echte Lippenschwünge, sperrangelweit aufgesperrte und »geizig, abmagernd nach innen« gezogene Münder, sowie das unwillkürlich damit einhergehende Spiel von Wimpern, Lidern und Pupillen.
    Einer ihrer Romane, Zwei schwarze Jäger (2009), handelt von Rita Palka, die als Autorin des Romans vorgestellt wird, der kein Roman, sondern eine Sammlung von Geschichten ist, aus denen sie nun einem kleinstädtischen Publikum vorliest. Das Publikum hat sich geweigert, zahlreich zu erscheinen, und schon aus diesem Grund stellt sich bei der Vorleserin bald Langeweile ein: »So ein schöner, hier drinnen

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