Dem Leben Sinn geben
versäumter Abend!« Sie beginnt sich selbst damit zu unterhalten, eine Geschichte zu erfinden, die nicht im Roman steht, in der vorliegenden Fassung, die von diesem Vorfall berichtet, dann aber doch. Und da sie nun schon mal dabei ist, macht sie nach der Lesung in der Einsamkeit des Gästezimmers gleich weiter, bis in einer ihrer Erzählungen die angejahrte Protagonistin ihren Ex-Lover, der sie nicht mehr lieben will, mit diebischem Vergnügen dazu anstiftet, ersatzweise ihre jungmütterlichen Nachbarinnen zu verführen, damit deren allzu oberflächliches Leben mit ein wenig Liebeskummer, Verletzung und Schmerz mehr Tiefgang gewinnt: »Tu endlich was Gutes«, trägt sie ihm auf. Ist das böse? »Destruktion« hat die Autorin die Geschichte genannt.
Kunstformen, die von der Bosheit leben, sind jedoch vor allem Comedy und Kabarett . Fragen der Lebensbewältigung, alltägliche Situationen, Zeitumstände, politische Verwicklungen und die mehr oder weniger handelnden Personen nehmen sie mit Freuden aufs Korn. Ihre komische Bosheit bewegt sich zwischen feiner und grober Ausformung und zieht sämtliche Register von Ironie, Satire, Parodie, Polemik und Sarkasmus. Kabarettisten wie Karl Valentin, Heinz Erhardt, Georg Kreisler, Dieter Hildebrandt, Emil Steinberger, Maren Kroymann und zahllose Andere haben sich einen Namen mit dem Bösen gemacht, das zum Gelächter wird, während das Gelächter selbst böse wird. Was sie fürchten müssen, ist nur Eines: Dass die Wirklichkeit sie überholt. Was ihre Opfer fürchten, ist etwas Anderes: Dass sie des Verlachens nicht mehr würdig sein könnten. So ist der Nachschub immer gesichert, die sonst verleugnete Liebe zum Bösen kann sich endlich austoben und wird dabei noch als gute Unterhaltung genossen. Alle fühlen sich hinterher geläutert und wissen mit gelockertem Zwerchfell: So schlimm ist das Leben gar nicht, und falls doch, geht es dennoch weiter. Das ist auch politisch von Bedeutung: In Deutschland war es dem aufopferungsvollen Einsatz von Kabarettisten in Ost und West zu verdanken, dass die bösen Impulse zwischen »Ossis« und »Wessis« in den Jahren nach der Wiedervereinigung von 1990 sich mit Lachexplosionen begnügten.
Eine übertriebene, »überzeichnete« Darstellung von Ereignissen, Zuständen und Zeitgenossen unternehmen Comic und Karikatur , in denen hintergründige und abgründige Zusammenhänge zu Bildern verdichtet werden. Die Aussagen der zeichnenden Bosheit wären weniger wirksam, wenn nicht so viele Bezüge so einprägsam dargestellt werden könnten. Textzeilen und Sprechblasen lenken die Aufmerksamkeit auf überraschende Aspekte. Die Karikatur kann gnadenlos Partei beziehen und der Gegenpartei mit einem einzigen Bild das Leben schwer machen. Dinge und Werte leben in Gestalt von Personen auf, die wiederum in einer Weise missgestaltet werden, dass sie mit Knollennasen, übergroßen Ohren, riesigen Mündern der Lächerlichkeit preisgegeben sind.
So böse kann die Karikatur sein, dass Menschen gegen ihre Urheber aufstehen, als hätten die wirklich jemanden gemeuchelt, wie etwa bei den »Mohammed-Karikaturen«, die 2005 in einer dänischen Tageszeitung erschienen und bereits mit dem Bild des Propheten das islamische Bilderverbot verspotteten. Erst recht fühlten sich Muslime rund um die Welt von der Darstellung eines Turbans auf seinem Haupt provoziert, der die Form einer Bombe mit brennender Lunte annahm. Welche Wahrheit sollte da zum Ausdruck kommen? Konnte die Verletzung religiöser Gefühle noch Meinungsfreiheit sein? Monatelang waren hitzige, nicht nur verbale Kontroversen die Folge, 2012 erneut, als ein offenkundig mit bösen Absichten produzierter Videofilm böse Reaktionen nach sich zog.
Nicht alle Menschen lieben die Bosheit, viele ängstigen sich vor ihr, und dies schon dann, wenn sie im alltäglichen Umgang zwischen Menschen zur Geste wird. In der Epoche des Positiven wird jede boshafte Geste zum negativen Verhalten, zur Schikane , die sich als »eine Konfusion von Krankheit und Kriminali t ät verstehen lässt« (Hans-Jürgen Seemann und Rainer Meier, Das Prinzip Bosheit , 1993, 10).
Interessant ist die Beobachtung, wie die schikanöse Bosheit im Alltag funktioniert: Wenn etwa der zu spät kommende Fahrgast zum Bus an der Haltestelle rennt, der Fahrer im letzten Moment aber die Tür schließt und hämisch grinsend davonfährt, ist das eine vorsätzliche Sabotage des Glücks, das den Anderen durchflutet hätte, wäre das kaum mehr zu Erwartende doch
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