Dem Leben Sinn geben
noch wahr geworden. Eine Demütigung und Kränkung geht damit einher, die das Selbstwertgefühl des Betroffenen empfindlich schwächt, während das des Schikaneurs durch die gelungene Herabwürdigung gestärkt wird, zumindest für diesen Moment. Er nutzt die Verletzlichkeit des Anderen für sich, um sich erhaben darüber zu fühlen, wozu er sonst zu wenig Gelegenheit hat: Das ist der Reiz der Schadenfreude.
Kenner schätzen die infame Bosheit am meisten: Wenn etwas gehoben daneben ist, verbal oder nonverbal, in voller Kenntnis der jeweils geltenden Regeln für das Sagbare und Unsagbare in Worten, Mimik, Gestik, Kleidung, Haltung. Es ist eine ausgesuchte Gemeinheit, wenn das Wort jetzt betont nicht passt, das Gesicht den falschen Ausdruck zeigt, die Krawatte dem Anlass erkennbar nicht angemessen ist, die Farben schreiend nicht zusammenpassen, der Umgang mit einem Menschen auffällig gemieden wird. Im realen Leben können die Reaktionen der Anderen darauf zum Korrektiv werden, denn sie müssen in Echtzeit ausgehalten werden. Im virtuellen Raum , wo »Trolle« ähnlich den gleichnamigen Unholden in der nordischen Sagenwelt mit provozierenden Aktionen ihr Unwesen treiben, müssen Community-Manager darüber wachen, dass aus Bosheit nicht Bösartigkeit wird.
Infam ist es auch, idiotische Vorurteile zu hegen, bei denen essich oft um Bosheiten handelt, die schon zur Struktur geronnen sind. Sie haben einen schlechten Ruf, bringen aber die nackte Wahrheit ans Licht, zumindest die Wahrheit derer, die nicht anders denken können oder wollen: Da ist nichts mehr zu machen. Jedes Dorf pflegt Vorurteile gegen das Nachbardorf, kein Kölner kann von Düsseldorf lassen. Freundlich und angenehm sind positive Vorurteile (»Alle Südtiroler sind schön«), die aber energetisch gesehen wenig bringen. Deutlich aufregender sind negative Vorurteile (»Warum mögen Ostfriesen keine Brezeln? Weil sie den Knoten nicht aufbekommen«).
Gute Vorurteile sind böse, ihre Vorteile sind vielfältig: Sie bauen Spannung auf und entladen sie im Auflachen. Sie helfen bei der Lebensbewältigung, denn die Welt wäre zu kompliziert ohne diese Vereinfachungen, die das Nachdenken über Details ersparen. Sie begründen Gewohnheiten, die Vertrautheit vermitteln. Sie sind durch nichts zu erschüttern, mit ihnen ist fest zu rechnen und sie kehren zuverlässig wieder, eine letzte Gewissheit in Zeiten grassierender Ungewissheit. Zugleich sind sie rasch zur Hand, unmittelbar präsent, niemand muss sich erst mühsam an sie erinnern, jeder kann mit ihnen sozusagen ansatzlos aus der Hüfte schießen. Nie bleibt ein Mensch mit ihnen allein, immer finden sich genügend Andere, die das lange Nachdenken ebenfalls anstrengend finden. Ohne böse Vorurteile können Menschen nicht gut leben.
Selbstverständlich ist es wichtig für den Fortschritt der Menschheit, sich allzu ungerechter Vorurteile bewusst zu werden und sie als unzutreffend zu entlarven. Eigenartigerweise wachsen jedoch sofort neue nach, und ausgerechnet diejenigen, die politisch korrekt gemieden werden sollen, graben sich besonders tief ein. Selbst in der Wissenschaft scheinen Vorurteile unverzichtbar zu sein, denn Hypothesen sind, wieein Vertreter der Zunft einmal bemerkte, nichts weiter als kontrollierte Vorurteile.
Zu wünschen wäre, dass sämtliche Vorurteile unter Kontrolle bleiben und immer zur rechten Zeit die Distanz der Reflexion und Selbstreflexion wieder eine Option darstellt. Wo dies gewährleistet ist, muss aber niemand zurückschrecken vor möglichst lästerlichen Behauptungen über Männer, Frauen, Mantafahrer, Blondinen, Lehrer, Krankenschwestern, Schwarze, Weiße, das englische Königshaus, Deutsche, Polen, Österreicher…, ohne Angst davor, dass die Betroffenen wirklich getroffen werden könnten: Sie kennen die Vorurteile seit langem und können nur müde darüber lächeln. Namentlich Ostfriesen stehen im Verdacht, die Witze über sich allesamt selbst zu erfinden. Ist es nicht eigentlich ein sehr durchschaubares Spiel? Wenn es nur nicht solchen Spaß machen würde!
Vom Umgang mit Konflikten: Rache üben, Rache ist süß
Manchmal aber, wenn eine Bosheit trifft, und vor allem dann, wenn jemandem ernsthaft Böses angetan wird, kommen Rachegefühle auf. Sie bieten sich als Sinngebung an, wenn die Sinnlosigkeit unerträglich wird. Rache kann bitter sein, das wird im privaten Raum erfahrbar, wenn die einstmals süße Liebe zur Rache wird: Nach einer großen Enttäuschung wird sie dem Einen
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