Dem Sieger eine Handvoll Erde
sagte leichthin: »Das kommt davon, daß du zur Hälfte Schottin bist. Du hast eben das Zweite Gesicht. Aber vielleicht tröstet es dich, wenn ich dir sage, daß die Leute mit dem Zweiten Gesicht sich in fast hundert Prozent aller Fälle irren.«
»Bitte mach dich nicht lustig über mich, Johnny.« Sie unterdrückte ihre Tränen.
Er legte den Arm um ihre Schultern.
»Ich soll mich lustig über dich machen? Aber Mary! Wie kannst du so etwas glauben?«
»Komm zu mir zurück, Johnny.«
»Ich komme immer wieder zu dir zurück, Mary.«
»Was hast du gesagt?«
»Oh, das ist mir nur so rausgerutscht.« Er drückte sie kurz an sich, gab ihr einen Kuß auf die Wange und verschwand in der zunehmenden Dunkelheit.
VIII
Der riesige Transporter rollte, beleuchtet von mindestens zwanzig Lichtern an der Seite und an der Rückfront – ganz zu schweigen von den vier starken Scheinwerfern – auf der fast völlig verlassenen Straße durch die Dunkelheit mit einer Geschwindigkeit dahin, die der italienischen Verkehrspolizei sicher nicht gefallen hätte.
Harlow war zunächst auf der Autostrada bis Turin gefahren, dann links nach Cuneo abgebogen und näherte sich jetzt dem Col de Tende, dem schwierigen Paß mit dem Tunnel, der die Grenze zwischen Italien und Frankreich bildet. Sogar wenn man mit einem normalen Auto bei Tageslicht auf trockener Straße fährt, muß man seine ganze Konzentration und Vorsicht aufbieten: Das steile Auf und Ab der Straße und die schier endlose Folge mörderischer Haarnadelkurven auf beiden Seiten des Tunnels stellen die größten Anforderungen an das Können jedes Autofahrers. Aber einen riesigen Transporter mit katastrophaler Straßenlage – nicht zuletzt wegen der nassen Fahrbahn – durch den immer stärker werdenden Regen zu fahren, war ein Erlebnis, auf das nicht einmal ein potentieller Selbstmörder scharf gewesen wäre. Die rothaarigen Mechaniker-Zwillinge – der eine kauerte neben Harlow, der andere lag ausgestreckt auf der schmalen Bank hinter den Vordersitzen – waren, obwohl völlig erschöpft, so hellwach wie nie zuvor in ihrem Leben. Sie waren, gelinde gesagt, von Angst geschüttelt und starrten einander entweder entsetzt an oder schlossen die Augen, während sie in jeder Haarnadelkurve von einer Seite zur anderen geschleudert wurden. Denn wenn der Transporter von der Straße abkam, dann würde er nicht etwa gegen irgendeine Mauer krachen, sondern mit seinen Insassen in die Tiefe stürzen; und dabei hätte keiner von ihnen auch nur die geringste Überlebenschance. Den Zwillingen wurde allmählich klar, warum der alte Henry es nie zum Grand-Prix-Fahrer gebracht hatte.
Wenn Harlow sich des inneren Aufruhrs bewußt war, den er verursachte, so ließ er es sich wenigstens nicht anmerken. Er war völlig auf das Fahren konzentriert und darauf, die Straße bis zu den nächsten beiden, ja sogar drei Haarnadelkurven abzuschätzen. Tracchia – und inzwischen sicher auch seine Kumpane – wußten, daß er die Kassette bei sich hatte, und er zweifelte keinen Augenblick daran, daß sie versuchen würden, ihm die Kassette abzujagen. Aber wann und wo sie es versuchen würden, konnte er nur mutmaßen. Die unübersichtliche Straße, auf der er mit dem Transporter zum Gipfel des Col de Tende fuhr, war wie geschaffen für einen Angriff aus dem Hinterhalt. Wer immer auch seine Gegner sein mochten – Harlow war überzeugt, daß sie ihr Hauptquartier in Marseille hatten. Es war unwahrscheinlich, daß sie es riskieren würden, in Italien mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten. Er war sicher, daß er von Monza aus nicht verfolgt worden war. Es war sogar möglich, daß sie gar nicht wußten, auf welcher Straße er fuhr. Sie warteten wahrscheinlich, bis er sich ihrer Basis näherte, oder sogar, bis er dort ankam. Andererseits zogen sie vielleicht auch die Möglichkeit in Betracht, daß er sich der Kassette bereits auf dem Weg nach Marseille entledigte. Aber es hatte keinen Sinn, sich die verschiedenen Möglichkeiten auszumalen. Harlow verbannte sämtliche diesbezüglichen Gedanken aus seinem Kopf und konzentrierte sich ganz auf das Fahren, war aber auf jede Gefahr vorbereitet. Sie erreichten den Gipfel des Col de Tende ohne jeden Zwischenfall, passierten den italienischen und französischen Zoll und fuhren auf der anderen Seite des Berges die nicht minder tückisch gewundene Straße hinunter.
Als sie La Giandola erreichten, zögerte Harlow einen Moment. Er konnte nach Ventimiglia fahren und somit
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