Dem Sieger eine Handvoll Erde
Junge, ich gehe heute abend zu Leuten, die dich umlegen würden, bevor sie dich genau angeschaut hätten. Und im Moment bin ich für dich verantwortlich.«
Die Ampel wechselte auf Grün, und der Ferrari fuhr los. Der kleine Teil, der von Harlows Gesicht zu sehen war, schien Belustigung auszudrücken.
»Und da ist noch etwas«, sagte Rory. »Was ist mit ihm los? Mit meinem Vater, meine ich.«
»Er wird erpreßt.«
»Dad wird erpreßt?« Rorys Gesicht spiegelte deutlich seine Ungläubigkeit wieder.
»Aber nicht, weil er irgend etwas verbrochen hat. Ich erzähle es dir später einmal.«
»Werden Sie der Erpressung ein Ende machen?«
»Ich hoffe es.«
»Und was ist mit Jacobson? Er hat Mary auf Lebenszeit zum Krüppel gemacht. Ich muß völlig verrückt gewesen sein zu glauben, daß es Ihre Schuld war. Werden Sie ihn auch erledigen?«
»Ja.«
»Diesmal haben Sie ›ja‹ gesagt und nicht ›ich hoffe es‹«, bemerkte Rory.
»Richtig.«
Rory räusperte sich und fragte schüchtern: »Werden Sie Mary heiraten, Mr. Harlow?«
»Das Gefängnistor scheint sich allmählich zu schließen.«
»Nun, ich liebe sie auch. Auf andere Weise natürlich, aber genauso sehr. Wenn Sie sich den Mistkerl vornehmen, der Marys Fuß auf dem Gewissen hat, dann komme ich auf jeden Fall mit.«
»Keine Kraftausdrücke, bitte«, mahnte Harlow geistesabwesend. Eine Weile fuhren sie schweigend dahin, dann seufzte Harlow resigniert. »Okay. Aber nur, wenn du mir versprichst, außer Sichtweite und in Sicherheit zu bleiben.«
»Ich werde genau das tun, was Sie mir sagen.«
Harlow biß sich gedankenlos in die Oberlippe und zuckte zusammen, als ihm wieder schmerzhaft bewußt wurde, daß sie gespalten war. Er schaute in den Rückspiegel: Rory saß auf dem Rücksitz und lächelte höchst zufrieden. Harlow schüttelte den Kopf. Ob aus Verzweiflung oder aus Verwunderung oder aus beidem, war nicht einwandfrei festzustellen.
Zehn Minuten später hielt Harlow, etwa dreihundert Meter von der Rue Georges Sand entfernt, in einer kleinen Seitenstraße an, stopfte seine ganze Ausrüstung in einen Campingbeutel, hängte ihn sich über die Schulter und machte sich auf den Weg. Rory, der neben ihm herging, sah jetzt nicht mehr so selbstzufrieden, sondern ganz entschieden ängstlich aus. Abgesehen von allem anderen hatte Rory einen einleuchtenden Grund für seine Nervosität: Für das, was Harlow vorhatte, war die Nacht alles andere als ideal: Der Vollmond hing wie eine helle Laterne an dem sternenübersäten, wolkenlosen Himmel. Die Sicht war nicht schlechter als an einem düsteren Winternachmittag. Der einzige Unterschied war, daß die Schatten bei Mondlicht dunkler sind.
Harlow und Rory drückten sich in den Schatten einer der drei Meter hohen Mauern, die die ›Einsiedelei‹ umgaben. Harlow inspizierte den Inhalt seiner Segeltuchtasche.
»Also, laß mal sehen: Seil, Haken, Plane, Schnur, isolierte Drahtschere, Meißel, Erste-Hilfe-Kasten – ja, das ist alles.«
»Wozu ist denn das alles, Mr. Harlow?«
»Die ersten drei brauche ich, um über die Mauer zu kommen, die Schnur, um irgend etwas zusammenzubinden, wie zum Beispiel Hände, die Drahtschere für die Alarmanlage – wenn ich die Drähte finden kann. Den Meißel brauche ich, um etwas zu öffnen, und den Erste-Hilfe-Kasten – nun, man kann nie wissen. Rory, würdest du bitte aufhören, mit den Zähnen zu klappern. Wenn du so weitermachst, hören unsere Freunde da drinnen dich schon auf hundert Meter.«
»Ich kann nichts dafür, Mr. Harlow.«
»Also, vergiß nicht, du mußt hier bleiben. Das letzte, was wir hier haben wollen, ist die Polizei. Doch wenn ich in einer halben Stunde nicht zurück bin, dann gehst du zur nächsten Telephonzelle und sagst Bescheid, daß wir Verstärkung brauchen.«
Harlow befestigte den Haken an einem Ende des Seils. Dieses eine Mal wirkte sich das helle Mondlicht günstig aus. Schon beim ersten Versuch legte sich das Seil um den Ast eines Baumes jenseits der Mauer. Harlow zog vorsichtig daran, bis der Haken sich in den Ast gebohrt hatte, warf sich die Plane über die Schulter, kletterte am Seil entlang in die Höhe, legte die Plane über die Glasscherben auf die Mauer, zog sich ganz hinauf, setzte sich vorsichtig mit gespreizten Beinen auf die Plane und schaute sich den Baum an, der ihm zu dem mühelosen Aufstieg verholfen hatte: Die untersten Äste befanden sich etwa anderthalb Meter über dem Boden.
»Die Tasche«, sagte Harlow zu Rory.
Die Tasche kam
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