Dem Tod auf der Spur
7 Prozent auf das Herz. Der Anteil des Blutes am Körpergewicht beträgt bei Erwachsenen ca. 6 bis 8 Prozent, bei Kindern ca. 8 bis 9 Prozent. Dabei ist ein Verlust von einem Drittel Blut, also ca. 1,7 Litern bei einem normalen Erwachsenen, bereits lebensgefährlich und führt nicht selten durch das geringe noch im Körper vorhandene zirkulierende Blutvolumen zu einem relevanten Sauerstoffmangel im Gehirn und dadurch zu Müdigkeit, starker körperlicher und geistigerSchwäche und nicht selten zu Bewusstlosigkeit. Der Verlust von zwei Dritteln des zirkulierenden Blutvolumens, also 3,3 Litern, führt sicher zum Tod.
Bevor Hemker sich ans Steuer seines Autos setzte und die etwa 25 Kilometer Fahrstrecke bis zum Ort seines Suizides zurücklegte, hatte er mit einem Blutverlust von zwei Litern bereits die kritische Grenze überschritten und befand sich in einem Zustand äußerster Lebensgefahr. Doch er lebte noch, und er wollte sterben, koste es, was es wolle. Vielleicht hielt ihn dieser Gedanke, sterben zu wollen, bei Bewusstsein. Als er merkte, dass er sich durch das Abzapfen von Blut nicht töten konnte, dachte er sich eine neue Todesart aus, die man nicht anders als todsicher bezeichnen kann.
Die Kombination von Aderlass und Enthauptung machte den Suizid von Dieter Hemker zu einem außergewöhnlichen Fall. Gar nicht außergewöhnlich ist dagegen das Kombinieren von zwei Suizidmethoden. Jedem Rechtsmediziner begegnet in seinem Arbeitsalltag immer wieder mal ein sogenannter »kombinierter Suizid«.
Meine erste Sektion als verantwortlicher Obduzent führte ich an einer Neunzehnjährigen durch. Die junge Frau hatte zunächst blutverdünnende Medikamente ihres Vaters in sehr hoher Dosierung eingenommen und sich dann die Pulsadern mit einem scharfen Küchenmesser aufgeschnitten. Doch anstatt zum Tod zu führen, war die Blutung aus den Pulsaderschnittverletzungen immer wieder zum Stillstand gekommen.Also fuhr die Frau mit dem Fahrstuhl in den neunten Stock eines Hochhauses und stürzte sich von dort aus in die Tiefe – und in den Tod.
Bei ihr wie bei Dieter Hemker war die Kombination zweier Suizidmethoden nicht beabsichtigt. Die zweite wurde erst eingesetzt, nachdem die erste sich als erfolglos erwiesen hatte. Daher sprechen wir in diesen Fällen von einem »ungeplanten kombinierten Suizid«.
Ein »geplanter kombinierter Suizid« war dagegen der Fall eines vierzigjährigen Mannes, den ich vor einigen Jahren zu untersuchen hatte. Der Mann war auf einer Autobahn mit Vollgas auf einen Brückenpfeiler zugerast und hatte sich während der Fahrt mit einer Pistole in den Kopf geschossen. Davon zeugten feinste Schmauch- und Blutspritzer an der rechten Hand des Verstorbenen. Die Obduktion ergab später, dass nicht die Kollision mit dem Brückenpfeiler, sondern der Kopfschuss den Mann getötet hatte. Als er mit seinem Auto gegen den Brückenpfeiler prallte, lebte er schon nicht mehr. Damit war auch zweifelsfrei geklärt, dass es sich nicht um einen Verkehrsunfall handelte. In seltenen Fällen ist es nämlich beabsichtigt, die Selbsttötung wie einen Unfall aussehen zu lassen, damit den Angehörigen die Auszahlung der Lebens- oder Unfallversicherung nicht entgeht. Daher wird in Zweifelsfällen die Rechtsmedizin auch zu dem Zweck hinzugezogen, eindeutig Suizid oder Unfall nachzuweisen, um so gegebenenfalls einen möglichen Versicherungsbetrug zu verhindern.
Weit häufiger ist der geplant kombinierte Suizid aber schlicht eine Methode, um auf Nummer sicher zu gehen. So auch bei einem an Hodenkrebs erkrankten Mann, der in die Elbe hinausschwamm und sich mit einer Gaspistole in den Hals schoss. Zwar war der Schuss an sich nicht tödlich, aber er verletzte den Mann so schwer, dass er im Wasser unterging und ertrank.
Manchmal frage ich mich, was diese Menschen in unserer Welt erreichen könnten, wenn sie diese unglaubliche Energie und Entschlossenheit, die hinter ihren verzweifelten Taten stecken und die notwendig sind, um diesen letzten Schritt überhaupt mit Erfolg durchführen zu können, in den Dienst des eigenen Lebens und in das anderer stellen würden.
Tatwaffe Feuer
Ich hatte schon seit einer Weile Feierabend an diesem eisigen Winterabend im Dezember und schaute mir zu Hause einen Film im Fernsehen an, als mich die Kriminalpolizei anrief und mich bat, in eine ausgebrannte Wohnung zu kommen.
Von anderen Einsätzen kannte ich das Viertel, in dem das Mehrfamilienhaus lag: Die Ansammlung heruntergekommener Wohnblocks war ein
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