Dem Winde versprochen
ins Zimmer getreten und hatte dort María Virtudes angetroffen, Don Alcides’ dritte Tochter, die gerade eine Art Kompresse aus Tüchern in der Hand hatte. Es sah aus, als wäre sie voller Blut.
»Gib her«, hatte sie gesagt, und das Mädchen, das plötzlich leichenblass geworden war, hatte hilfesuchend die Kranke angeschaut. »Zeig mir das, María Virtudes.«
In der Tat: Die Tücher waren voller Blut, zu viel für eine Regelblutung. Elisea blutete aus dem Unterleib und hatte das mit Hilfe ihrer Schwester vor Doktor O'Gorman verborgen.
»Bitte verbrenn das sofort.«
»Ja, Frau Gräfin.«
Melody hatte sich ans Bett gesetzt und sich Eliseas Gesicht angeschaut. Es hatte jetzt nicht mehr diesen überheblichen Ausdruck, der dem ihrer Mutter so ähnlich war. Sie hatte viel Gewicht verloren und ihre jugendliche Frische eingebüßt.
»Sag mir die Wahrheit. Ich verspreche dir, ich werde dir helfen.« Elisea biss sich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen. »Was ist zwischen dir und Servando?«
Damit hatte Elisea nicht gerechnet. Sie öffnete den Mund, und die zu Fäusten geballten Hände entspannten sich. Sie sah in Miss Melodys türkisfarbene Augen, und ein Gefühl von Frieden überkam sie. Sie erzählte ihr alles.
»Ich werde dir einen Tee bringen.«
Melody kehrte mit einem Hopfentee zurück, den sie ihr schweigend in kleinen Schlucken zu trinken gab. Nach einer Weile sagte sie: »Ich habe nach Papá Justicia geschickt, damit er dich heilt. Er wird wissen, was zu tun ist.«
»Miss Melody, ich will nicht gesund werden, ich will nur sterben. Lassen Sie mich sterben.«
»Elisea, ich verstehe, dass das eine schlimme Zeit für dich war, aber du darfst die Hoffnung nicht aufgeben. Sobald du genesen bist, kommst du wieder nach El Retiro. Dort wirst du schnell wieder zu Kräften kommen. Denk jetzt nur daran, dass du so bald wie möglich dieses Bett verlassen kannst. Wir werden schon eine Lösung finden.«
»Miss Melody«, protestierte sie kraftlos, »Sie verstehen mich nicht. Ich will nicht mehr leben.«
»Du wirst noch mehr Kinder haben«, erwiderte sie. Doch als sie sah, wie Elisea sich aufregte, wechselte sie das Thema.
Kurz darauf betrat Papá Justicia das Zimmer. Er sah der Patientin in die Augen, zog das Unterlid nach unten, untersuchte Zunge und Zahnfleisch, drückte auf ihren Bauch, hörte das Herz ab und stellte ihr ein paar Fragen. Er verordnete zwei Arzneitrünke und nahm Melody beiseite.
»Sie hat kein körperliches Leiden. Es ist das Herz, das leidet. Aus Verzweiflung und Traurigkeit weicht alles Leben aus ihr.«
»Miss Melody«, rief Elisea, bevor sie das Haus verließ, »woher wussten Sie es? Das mit mir und Servando. Hat er es Ihnen gesagt, oder reden vielleicht schon alle über uns?«
»Weder noch. Ich habe gesehen, wie ihr euch bei der Totenwache deines Vaters angesehen habt, und plötzlich wurde mir manches klar: zum Beispiel dein häufiges Verschwinden in El Retiro, über das sich deine Tante schon gewundert hatte.«
Servando hörte der Erzählung mit gesenktem Kopf zu und fuhr sich mit dem Taschentuch über die Augen.
»Das mit dem Kind tut mir sehr leid, Babá. Sie hat es verloren, weil sie so schwach war, du weißt, dass sie eine schwere Entzündung hatte. Und die Aufregung, als ihr Vater starb und ihre Mutter von heute auf morgen ins Kloster ging, hat natürlich das ihrige dazu beigetragen. Ich dachte, du solltest das wissen.«
»Danke, Miss Melody.«
»Babá, du bist der Einzige, der Elisea aus diesem Zustand herausholen kann. Papá Justicia sagt, sie habe sich aufgegeben, sie habe alle Hoffnung fahren lassen.«
»Ich kenne das. Als ich auf dem Schiff hierher gebracht wurde, habe ich das bei vielen der Meinigen gesehen. Sie starben jeden Tag ein wenig mehr, sie aßen nicht, sie tranken nicht, sie sprachen nicht, sie schliefen nur oder starrten immer denselben Punkt an. Viele sind so gestorben, aus Traurigkeit.«
»Ich werde mir etwas einfallen lassen, damit du sie besuchen kannst. Lass mir ein wenig Zeit zum Nachdenken, ich gebe dir dann Bescheid. Mister Blackraven will, dass Elisea Ramiro
Otárola heiratet, sobald die Trauerzeit vorbei ist. Ich werde ihn überzeugen, dass er davon Abstand nimmt.«
»Vielleicht wäre es besser, wenn Elisea jemanden aus ihren Kreisen heiratet, Miss Melody. Was für eine Zukunft hat eine junge Frau wie sie an der Seite eines Negers wie mir?«
»Komm mir jetzt nicht mit diesem Blödsinn. Das hättest du dir überlegen sollen, bevor du das
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