Demokratie! - wofür wir kämpfen
Gewaltenteilung
Die Verfassung der Vereinigten Staaten wurde oft als perfektes Regierungsinstrument gefeiert: Sie sei »ein Apparat, der von ganz allein funktionieren könnte«. Heute wissen wir, dass nichtnur die Verfassung der Vereinigten Staaten, sondern alle liberalen Verfassungen ins Stocken geraten und versagen können. Aus Sicht der sozialen Bewegungen und ihrer Verfassungsgrundsätze sind die Schwächen dieser Verfassungen unschwer zu erkennen.
Die liberalen Verfassungen müssen dringend gründlich überholt werden – aber reicht das schon aus, um neue demokratische Räume und Strukturen zu schaffen? Oder stellen die Prinzipien des Privateigentums und der Marktwirtschaft, die tief in den Verfassungen verankert sind, ein unüberwindliches Hindernis bei der Selbstverwaltung des Gemeinsamen dar? Diese Fragen und die Zweifel an der Reformierbarkeit schwächen einige der zentralen Positionen der klassischen Linken, die selbst in ihrer progressiven Form der liberalen Verfassung verpflichtet bleibt. Im Licht der heutigen Krise wollen wir einige der Dilemmata der gegenwärtigen Verfassungen erörtern und uns dazu die drei staatlichen Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative ansehen.
Die Exekutive hat in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Macht an sich gezogen und bürokratische Strukturen geschaffen, die zu denen der Judikative und der Legislative in Konkurrenz treten. In den Vereinigten Staaten haben beispielsweise die Entscheidungen der juristischen Berater des Präsidenten heute oft Vorrang gegenüber denen der Gerichte; das Office of Legal Counsel, das dem Präsidenten untersteht, läuft inzwischen der Bundesstaatsanwaltschaft den Rang ab; und die Wirtschaftsberater des Präsidenten sind mächtiger als die Parlamente und ihre Ausschüsse. Auch in Europa haben Regierungen die Macht der Parlamente ausgehöhlt, indem sie über Verordnungen herrschen; Innenminister und Polizei entziehen sich zunehmend der parlamentarischen Kontrolle; und Kriegseinsätze werden nichtmehr von den Abgeordneten beschlossen, sondern von der Regierung.
Angesichts dieser Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der Exekutive stellt sich die Frage, warum Barack Obama (um nur einen von vielen möglichen Regierungsschefs zu nennen) bei der Durchsetzung seiner Reformagenda so wenig Erfolg hatte. Schließlich entschied sich Obama, die Sonderbefugnisse beizubehalten, die sich die Bush-Regierung erteilt hatte. Inwieweit war Obama selbst Gefangener der Strukturen der Exekutive? Obama ist beileibe kein Revolutionär, aber er trat immerhin mit dem Anspruch an, einige bescheidene Reformen durchzuführen. Die europäische Linke steckt in einem ganz ähnlichen Dilemma: Um ein Beispiel für eine nennenswerte Sozialreform unter einer sozialistischen oder sozialdemokratischen Regierung zu finden, muss man bis zum Beginn der 1980er Jahre und in die ersten beiden Jahre der Mitterrand-Regierung in Frankreich zurückblicken.
Die Parlamente, von denen Reformen ausgehen könnten, wurden dagegen Schritt für Schritt entmachtet und ihrer verfassungsmäßigen Rechte beraubt. Die Krise der repräsentativen Demokratie resultiert zumindest zum Teil aus dieser schon in der Verfassung angelegten Schwäche. Heute haben Parlamente kaum noch die Möglichkeit, soziale Projekte anzustoßen, Haushalte zu gestalten oder in militärischen Angelegenheiten zu bestimmen. Die Hauptaufgabe der Legislative besteht lediglich darin, die Initiativen der Exekutive abzunicken oder abzuschießen. Der Kongress der Vereinigten Staaten scheint beispielsweise vor allem damit beschäftigt zu sein, Projekte der Exekutive zu blockieren und die Regierung zu sabotieren.
Wenn die Linke also auf die Parlamente setzt (und die sind oft die einzige verbleibende Möglichkeit), wird sie unweigerlichenttäuscht werden. Die Menschen fühlen sich zunehmend von den Parteien, dem Rückgrat der repräsentativen Demokratie, verprellt; gegenüber linken Parteien ist das Misstrauen besonders groß. Natürlich stehen die Parteien zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor außergewöhnlich komplexen Problemen: Neben den klassischen Aufgaben der Volksvertretung haben sie heute mit Staatsverschuldung, Migration, Energiepolitik, Klimawandel und so weiter zu tun. Angesichts dieser Komplexität sollten ihre Kenntnisse und Befugnisse erweitert werden, doch in Wirklichkeit schwinden sie. Die Parlamente, die von Scharen von Lobbyisten bestürmt werden, sind von den anstehenden Aufgaben hoffnungslos
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