Demon Lover
mehr erinnerte. Glas splitterte, dann flog sie durch die Windschutzscheibe. Die Glasscherben zerfetzten ihre Haut wie tausend Tigerkrallen.
Kendra erinnerte sich an keinen Schmerz, nur an eine seltsame Benommenheit. Neben den zahlreichen Schnittverletzungen hatte sie sich ein Schleudertrauma zugezogen. Erstaunlicherweise waren ihre Knochen heil geblieben. Die Polizei meinte, wäre sie angeschnallt gewesen und der Aufprall von einem Airbag gedämpft worden, wäre sie nahezu unverletzt geblieben; bei dem Streit mit ihrem Vater hatte sie vergessen, sich anzuschnallen.
Kendra seufzte. Soweit sie zurückdenken konnte, war ihr Vater mit Bleifuß gefahren und hatte schlechte Laune gehabt. Es gab keine Geschwindigkeitsbegrenzung, die er nicht überschritten hätte; den Führerschein hatte er nur deshalb behalten, weil er ein angesehener Richter gewesen war. Doch anstatt dass ihn der Bluthochdruck und das Cholesterin langsam umbrachten, setzte überhöhte Geschwindigkeit Nathaniel Carter vorzeitig ein Ende. Da Kendra aus dem Auto geschleudert worden war, hatte der entgegenkommende Verkehr sie nicht zerquetscht.
Sie runzelte die Stirn, schlug die Augen auf und rieb sie, um ihre Sicht zu schärfen. «Hätte ich Michael begleitet, dann wäre das alles nicht passiert», sagte sie an niemand Bestimmten gewandt.
In einem Augenblick hatte sich ihr ganzes Leben verändert, weil sie ihrem Vater den Vorrang vor ihrem Freund gegeben hatte. Hätte er nicht die Route gewählt und wäre er nicht zu schnell in die Kurve gefahren, wäre alles anders gekommen. Das
Hätte
,
Sollte
,
Könnte
lastete auf ihr wie Beton.
Schluss damit
, dachte sie.
Ich kann nicht ewig grübeln.
Wenn sie so weitermachte, würde sie bald wieder zum Wein greifen, um ihre quälenden Gedanken zu betäuben.
Inzwischen übersah sie die Narben, die der Unfall in ihr Gesicht eingebrannt hatte, eine Fertigkeit, die sie mit jedem Blick in den Spiegel weiter vervollkommnete. Wenn sie die Narben nicht sah, konnte sie so tun, als wären sie nicht da.
O Gott, ich wünschte, ich wäre tot
. Sie wandte sich vom Spiegel ab.
Wessen Gnade habe ich es zu verdanken, dass ich überlebt habe?
Schaudernd beugte sie sich vor und drehte das warme Wasser auf. Seit sie das Krankenhaus verlassen hatte, war ihr ständig kalt, selbst an warmen Tagen. Um die Atmosphäre noch kuscheliger zu machen, dimmte sie das Licht und zündete ein paar Duftkerzen an. Im Bad verbreitete sich der Duft von Zimt und Sandelholz.
Sie gab mehrere Duftölkapseln ins Wasser, setzte sich auf den Wannenrand und passte die Wassertemperatur an. Als sie die Hähne zugedreht hatte, entkleidete sie sich und ließ ihre Sachen auf den Boden fallen.
Sie stieg in die Wanne und ließ sich ins heiße Wasser gleiten. Ah, genau das hatte ihr gefehlt. Ein bisschen Ruhe und ein ausgedehntes Bad, um den Stress loszuwerden.
Als sie die Augen schloss, dachte sie unwillkürlich an den Mann, der einmal ihr Lebensinhalt gewesen war. Michaels Bild trat ihr vor Augen. Als Lover hatte er keine Wünsche offen gelassen. Gut aussehend. Braune Hundeaugen und ein ungebärdiger brauner Haarschopf, der perfekt zu seinem gebräunten Teint passte. Auf der Bühne hatte er seine weiblichen Fans in Verzückung versetzt. Er textete und komponierte selbst und stand am Anfang seiner Musikerkarriere.
Am liebsten trat er mit seiner Band auf dem Gwynedd-Mercy-Campus auf. Dort gab es nicht nur jede Menge Studentinnen, die sich um ihn rissen, sondern er bekam auch ausreichend Bier und Pot, um bei jeder Party im Mittelpunkt zu stehen. Ihre Zimmergenossin hatte sie Michael vorgestellt, der ein paar Jahre älter war als sie und bereits einen guten Ruf als Sänger genoss.
Weshalb hatte Michael sie den zahllosen anderen Mädchen vorgezogen, die um seine Aufmerksamkeit buhlten?
Schließlich entsprach sie so gar nicht seinem Wunschbild. Sie war ein Bücherwurm. Eine Streberin. Eine Einserschülerin, die Strafrecht studierte, genau wie ihr Daddy es gewollt hatte. Außerdem war sie noch Jungfrau. Zwar hatten schon einige Männer ihren Körper erkundet, doch noch keiner hatte ihn erobert.
Michael Roberts hingegen war ein Aussteiger, ein Bummelant, der davon träumte, von seiner Musik leben zu können. Vielleicht hatte er sie sich deshalb ausgesucht, weil sie genau dem entsprach, was einem armen Schlucker wie ihm eigentlich hätte unerreichbar sein sollen: Tochter eines angesehenen Richters, eines Mannes, der im Begriff stand, in die Landespolitik zu
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