Demon Lover
Grigio.
Schade, dass das nicht in Frage kam.
Nach einmonatigem Entzug in der Reha war sie vollkommen trocken und brauchte keinen Alkohol mehr. Sie hatte sich sogar mit Erfolg eingeredet, dass ihr täglicher Weinkonsum keine Sucht gewesen sei, sondern lediglich ein Versuch, ihre Gefühle eine Zeit lang zu betäuben. Sie trank halt gern mal ein Glas Wein. Keine große Sache.
Abgesehen davon, dass die «keine große Sache» mehr als einmal dazu geführt hatte, dass sie bewusstlos auf dem Schlafzimmerboden liegen geblieben war.
Jetzt, da der pochende Kopfschmerz sich zurückmeldete, wäre sie am liebsten weggerannt und hätte sich in einem dunklen Winkel verkrochen. Doch diesen Winkel gab es nicht. Es gab keine einfache Möglichkeit, die Vergangenheit oder die Fehler, die sie begangen hatte, ungeschehen zu machen.
Sie presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Es gab nur den morgigen Tag. Und die Hoffnung, dass es ihr dann besser ginge.
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6
Kendra hatte inzwischen mörderische Kopfschmerzen und konnte sich ausrechnen, dass sie über kurz oder lang einen heftigen Migräneanfall bekommen würde.
Entschlossen, es nicht so weit kommen zu lassen, schluckte sie ein rezeptfreies Beruhigungsmittel. Sie musste sich entspannen, ihren Kopf leer machen und den körperlichen Stress loswerden.
Ihr Zimmer hatte einen Tropentouch, was sie an Licht, Luft und Sonnenschein erinnerte. Der weiche Teppich war in einem tiefen Beigeton, die Farbe des Sandstrands einer Karibikinsel. Die dicke Tapete stellte in zarten Farben eine tropische Landschaft dar und übte eine beruhigende Wirkung aus. Die Leinenvorhänge passten farblich zum Teppich, und wenn sie zugezogen waren, wurde es schummrig und selbst an den heißesten Tagen wundervoll kühl im Raum.
Passend zum hellen Tropenambiente war der Raum mit schlichten, aber eleganten Korbmöbeln eingerichtet. Das Schönste aber war das große Himmelbett, auf dessen Nachttischen antike Öllampen standen.
An kühleren Tagen spendete ein Kamin aus weißem Marmor Wärme und sorgte für Kuschelatmosphäre – wenngleich sie an diese Variante des Vorspiels kaum Erinnerungen hatte.
Die Schultern sackten ihr herab, sie ließ den Kopf hängen. Das Verlangen brannte schmerzhaft in ihrem Blut.
Wie lange war es schon her?
Sie wandte sich zum Bett und seufzte. Zu lange.
Beide Nachttischlampen brannten, die Dochte saugten Öl in ihren dicken Bauch. Die Erinnerung an die vergangenen Tage war wie hinter Nebel verborgen. Ständig hatte es geregnet oder genieselt, alles war irgendwie in ein Grau getaucht gewesen. Andauernd hatte sie das Regengetrommel in den Ohren, hin und wieder durchbrochen von grollendem Donner. Da aufgrund des Sturms Strom und Telefon ausgefallen waren, war das Haus von der Außenwelt abgeschnitten.
Der Raum war erfüllt vom Rauch, der von den Räucherstäbchen aufstieg. Das Räucherwerk, eine Mischung aus Sandelholz, Moschus und Zimt, versetzt mit Kräutern, die bei wiederholtem Inhalieren einen erholsamen Schlaf bewirken sollten, stammte aus einem Esoterikladen, der darauf spezialisiert war, mit Naturprodukten zu heilen, nicht mit Betäubungsmitteln.
Kendra, nur mit dem Morgenmantel bekleidet, setzte sich aufs Bett. Sie fuhr mit der Hand über die handgenähte Steppdecke, betastete deren Muster. Dies war das einzige Erbstück von ihrer Mutter, welche die Decke Stich für Stich selbst genäht hatte, während sie auf die Geburt ihrer Tochter wartete. Die Nähte waren wundervoll gleichmäßig, die darunter liegende Matratze fühlte sich einladend weich an.
Entschlossen, die Migräne mit ihren eigenen Waffen zu schlagen, legte Kendra sich seufzend auf den Rücken und breitete die Arme aus. Sie war müde, jedoch nicht so erschöpft, wie sie es seit dem Unfall häufig war.
Sie atmete tief durch und dann gleich noch einmal, füllte ihre Lungen und ließ die Luft langsam entweichen. Das entspannte sie. Sie schloss die Augen und konzentrierte sich auf ihre Gedanken, formte in ihrer Vorstellung ein Bild. Ein Bild von sich selbst. Wie sie den Schmerz abwarf wie einen Haufen Müll.
Hier war sie sicher. Hier hatte sie Ruhe.
Der Kopfschmerz ließ nach. Nicht sehr. Doch er wurde erträglich.
Hier war sie zu Hause. Der Landsitz ihres verstorbenen Vaters bot ihr wenigstens Abgeschiedenheit. Wenn sie niemanden sehen wollte, brauchte sie das auch nicht zu tun. Nach seinem Tod war sie vom College abgegangen und hatte erklärt, sie wolle das Studium später
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