Demonica: Tödliche Verlockung (German Edition)
Er blutete aus Nase, Augen und Ohren. Maschinen atmeten für ihn, pumpten Flüssigkeit in seine Adern, überwachten seine Vitalfunktionen. Eine junge humanoide Krankenschwester – irgendeine Gestaltwandlerin, wie das sternförmige Mal hinter ihrem Ohr bewies – überprüfte gerade seinen Status; ihr Gesicht wirkte erschöpft und besorgt.
Sin hätte sich am liebsten auf der Stelle übergeben. »Hatte er einen Unfall?«
»Das sind die Folgen dieser Krankheit.« Eidolon nahm die Akte des Patienten von einem Haken am Fußende des Betts. »Es ist ein VHF, ein virales hämorrhagisches Fieber. Es verursacht Multisystemversagen, die Gefäße mit eingeschlossen. Die Organe versagen, und die Adern lösen sich praktisch auf. Der Patient blutet aus sämtlichen Körperöffnungen –«
»Hör auf!« Entsetzt stolperte Sin einen Schritt zurück, sodass sie gegen einen Schrank hinter ihr stieß. Gott, was hatte sie nur getan?
Eidolon gab der Schwester ein Zeichen. »Vladlena, lassen Sie uns bitte mal einen Moment allein?«
»Selbstverständlich, Doktor.«
Sobald sie weg war, packte Eidolon Sins Schultern. »Sin«, sagte Eidolon. Sein Ton war sehr viel freundlicher, als sie verdiente. »Ich brauche deine Hilfe. Du musst deine Gabe in ihn hineinleiten und versuchen, ob du dem Virus deinen Willen aufzwingen kannst.«
»Das habe ich doch schon vor ein paar Tagen bei diesem anderen Warg versucht. Es hat nicht funktioniert, und dem ging’s nicht mal annähernd so schlecht wie dem Kerl hier.«
»Ich weiß. Und vielleicht wird es diesmal genauso wenig funktionieren. Aber inzwischen hattest du die Gelegenheit zu sehen, wie das Virus in Cons Blut getötet wurde. Wenn du in diesem Warg eine ähnliche Reaktion hervorrufen kannst, hat er vielleicht noch eine Chance.«
»Verdammt«, hauchte sie. »Okay. Na gut.« Sie ballte die Hände zu Fäusten, damit sie nicht so zitterten. Es war schon Jahrzehnte her, dass sie irgendetwas dermaßen mitgenommen hatte, und sie war nicht sicher, wie sie damit umgehen sollte, außer ihre Gefühle tief in sich zu begraben, so wie sie es immer getan hatte.
Also machte sie sich ans Werk und ergriff behutsam die schwärzliche, geschwollene Hand des Wargs. »Warum hat er diese ganzen dunklen Flecken?«
»Das sind subdermale Blutungen, weil seine Kapillaren platzen.«
Du liebe Güte. Sie schloss die Augen und bemühte sich, jedes Quäntchen eiskalter Distanziertheit zu mobilisieren, über das sie verfügte. Sie war jahrelang eine Mörderin gewesen, war in der Hölle gewesen und wieder zurückgekehrt – im wörtlichen Sinne – und sie hatte schon viel, viel Schlimmeres als dies gesehen.
Aber sie war dafür nicht verantwortlich gewesen.
»Warum kann er nicht mein Blut trinken, so wie Con?« Sie öffnete die Augen und richtete den Blick auf Eidolon, die Wände, den Boden, denn alles war besser, als diesen sterbenden Jungen anzusehen. »Ich meine, ich weiß ja, dass Warge normalerweise kein Blut trinken, aber würde ihm das nicht zumindest eine gewisse Abwehr bieten?«
»Es hat bei Con funktioniert, weil er zum Teil Vampir ist und das Blut, das er von dir nahm, nahezu umgehend in seinen Blutkreislauf gelangt ist. Bei jedem anderen wandert das Blut erst einmal in den Magen und wird verdaut oder wieder erbrochen.«
Igitt. »Kannst du ihm nicht mein Blut injizieren?«
»Selbst wenn deine menschliche Blutgruppe dieselbe wäre wie die des Opfers, bist du doch immer noch zum Teil Dämon. Dein Blut direkt in einen Werwolf zu injizieren, würde ihn töten.«
Sie nickte wie betäubt. Zwang sich, auf den Jungen hinabzublicken, weil er wenigstens das verdient hatte. Langsam, so schrecklich langsam, bauten sich ihre inneren Verteidigungswälle auf und schirmten sie von Entsetzen, Schmerz und Schuldgefühlen ab. Oh, das alles würde natürlich zurückkommen, aber zumindest für den Augenblick musste sie alle Schilde hochhalten, damit sie erst einmal mit alldem hier fertigwerden konnte.
Sie konzentrierte sich und öffnete sich ihrer Fähigkeit. Sogleich strömte Hitze in ihren Arm, von der Schulter bis in die Fingerspitzen, den Kurven und Linien ihres Dermoires folgend. Es begann zu leuchten, als sie ihre Gabe in den Werwolf hineinleitete.
Die Krankheit überrollte sie, eine schmutzige Welle von Reizen, die ihr Arm und Gedanken schwer machten. Bilder wirbelten durch ihren Kopf – sie konnte die gewundenen, verschnörkelten Virusstränge sehen, die sich um Blutzellen wickelten und ihnen das Leben auspressten.
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