Demudis
konnte Dirolf sich erklären, dass sich das Blatt zu Gunsten Eckharts gewendet hatte. Dass die Verhandlung um den Mordvorwurf gegen den Meister im Predigerkloster stattfand, verhieß nichts Gutes. Dirolf verspürte nicht nur Beklemmung, sondern richtiggehend Angst. Die Brust zog sich ihm zusammen, sein Atem ging stoßweise, das Herz begann zu flattern, und im Magen wurde ihm flau. Mit einem Male wurde er sich des Frostes bewusst, der ihn umgab. Er schlug auf ihn ein wie ein Peitschenhieb. Dirolf brach der kalte Schweiß aus, der zu kleinen Eiskügelchen wurde.
Wenn man derlei Dinge nicht mit aller Strenge zu einem guten Schlusse führt, stellte Dirolf fest, ist man verratzt und verraten. Das soll mir nicht widerfahren, wenn ich erst Abt bin. Vorher aber musste Dirolf noch diese unleidige Geschichte um Meister Eckhart durchstehen. Niemand hatte sich die Beschwernis gemacht, ihm genauere Kunde davon zu geben, was denn nun eigentlich vorgefallen war und wie man das Gericht überhaupt zusammengesetzt hatte, bis darauf, dass der Predigerbruder Johannes ihm Vorsitzen würde. Es war eine missliche Lage, in der er sich befand. Er hatte sich nicht vorbereiten und ein Vorgehen erdenken können. Er musste aufpassen, nicht auf der falschen Seite zu landen und zu den Verlierern zu gehören. Das war nicht seine Absicht. Nur gut, dass es Bruder Johannes sein würde, der den Vorsitz führte. An der Heiligkeit des Schweigers konnte kein Zweifel bestehen, obwohl er ja ein Prediger war. Gottes Wege waren ebenso unerforschlich und undurchschaubar, wie sie von alles umfassender Gnade gekennzeichnet waren. Dieser feste Glaube allein gab Dirolf Mut weiterzugehen.
*
Köln, auf dem Friedhof des Predigerklosters,
am Vormittag des 16.2.1327
Demudis war sogar noch zu früh im Predigerkloster gewesen. Bruder Hinkmar bedeutete ihr, der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof sei noch nicht zugegen. Demudis beschloss, das Grab von Schwester Guta auf dem Friedhof des Klosters aufzusuchen, um mit ihr Zwiesprache zu halten. Es gab noch einiges zu bereden.
Als sie sich dem Grab näherte, sah sie den Grafen im Schnee knien. Sie hielt sich abseits und beobachtete ihn gebannt. Er bewegte unablässig die blau gefrorenen Lippen, aber sie befand sich zu weit weg, um zu verstehen, was er vor sich hin murmelte. Nach einer Weile erhob er sich und gewahrte Demudis.
Demudis erstarrte, während der Graf seine Schritte geradewegs auf sie zulenkte. Sie war zu sehr in ihrer Angst gefangen, als dass sie es vermochte, in seinem Gesicht zu lesen.
Der Graf nickte ihr zu und sagte: »Guta vertraut dir, Schwester Demudis. Sei guten Mutes und fürchte dich nicht.«
Ohne innezuhalten, ging er weiter. Demudis getraute sich nicht, ihn aufzuhalten.
Sie dachte, es wäre schon hilfreich, wenn sie mehr über die kommende Verhandlung wüsste, um sich innerlich darauf vorzubereiten und gegen allfällige Unbill zu wappnen. Aber alle ergingen sich nur in dunklen Andeutungen.
Sie verharrte noch eine Weile und machte sich dann entschlossen auf den Weg in den Kapitelsaal des Klosters. Er war wie das ganze Kloster eigentlich für Weiber verboten. Aber Abt Norbert nahm es damit glücklicherweise nicht so genau.
*
Köln, Predigerkloster, am Vormittag des 16.2.1327
»Rette meinen Arsch«, hatte Bruder Hermann zu ihm gesagt. Bruder Hermann glich nicht mehr sich selbst. Der Graf von Katzenelnbogen war eingetroffen, wohl sein Vater. Er wohnte mit seinem Gefolge im Gästehaus des Klosters. Aber alles war missraten, nachdem die letzte der von Wilhelm geschriebenen und von Bruder Hermann gehaltenen Predigten so … so überaus erfolgreich gewesen war. Die Leute waren zur Tat geschritten, aber andere Leute zogen die Fäden und ließen die Puppen auf ihre Art tanzen. Abt Hanß und die Barfüßer waren aus dem Ruder gelaufen und hatten dem Anschein nach die Seiten gewechselt. Niemand sprach mit Bruder Hermann oder ihm. Sie hätten ebenso gut zu den Leprosen in Melaten gehen oder tot sein können. Luft, wir sind Luft, dachte Wilhelm. Wie soll ich seinen Arsch retten? Wovor? Auch Bruder Hermann hatte ihm nicht gesagt, was eigentlich vor sich ging.
Im Kapitelsaal waren der Erzbischof Heinrich, der Graf von Katzenelnbogen, Meister Eckhart, der Barfüßerbruder Dirolf, Bruder Nikolaus, Bruder Hermann, er selbst und diese unehrerbietige Begine versammelt, die ihn in Bruder Hermanns Abwesenheit so aufdringlich befragt hatte. Der ehrwürdige Vater und Herr Erzbischof
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