Demudis
Heinrich, Bruder Dirolf, Bruder Hermann und er saßen auf der linken Seite des langen Versammlungstisches, die anderen gegenüber.
Wilhelm war es unheimlich, in dem großen Saal, der zu den Versammlungen immer voll war, mit so wenigen Menschen zu sitzen. Viele Stühle blieben frei. Der Erzbischof hielt die Augen wieder wie zum Schlafe geschlossen. Der Graf machte auf Wilhelm den Eindruck eines in einer schlimmen Schlacht verletzten und besiegten Mannes. Er muss eine stattliche Gestalt gewesen sein, dachte Wilhelm, aber seine Schultern hängen nun, seine Wangen sind eingefallen, und seine Augen sind von schwarzen Ringen umgeben. Wilhelm beobachtete, wie Bruder Hermann versuchte, den Blick vom Grafen zu fangen, der aber stierte ins Leere.
Es herrschte gespanntes Schweigen. Ab und an sog jemand die Luft tief ein. Ein anderes Mal räusperte sich jemand. Die Geräusche hallten unangenehm wider.
Schließlich betrat Bruder Johannes den Saal. Was will denn der Schweiger hier, dachte Wilhelm, der hat uns noch gefehlt!
Doch Bruder Johannes ging an die Stirnseite des Tisches. Soll te es so sein, dass er den Vorsitz übernahm? Der Schweiger?
*
Köln, Hosengasse, am Vormittag des 16.2,1327
»Wo ist Demudis?«, fragte Salomo. »Ist Schwester Demudis immer noch nicht wieder da?«
Jutta brummte etwas davon, dass es ihn einen feuchten Ke hricht angehe. Schweigend wusch sie ihn. Warum waren die Alten so keifig? Warum dankten sie so wenig die Mildtätigkeit, derer sie durch die Beginen teilhaftig wurden? Jutta seufzte. Schwester Demudis hatte es also nicht besser getroffen als sie selbst. Letztens hatte sich doch wahrhaftig einer bei Magistra Sela beschwert. Wie konnte sie beweisen, dass sie niemals einen Alten schlagen würde? Na ja, jedenfalls nicht, wenn er ehrerbietig war. Schlimmer als die Kinder konnten sie einen bis aufs Blut reizen!
»Ich mache mir Sorgen«, sagte Salomo schließlich.
Jutta antwortete nicht.
»Sie bleibt schon so lange aus.«
»Hm, hm«, machte Jutta. Sie ist doch schon wieder da, dachte sie, der alte Esel weiß es nur noch nicht. Sie muss beim Gericht aussagen.
»Ihr habt Euch auch Sorgen gemacht«, bohrte Salomo weiter.
»Hm, hm.«
»Aber jetzt nicht mehr. Ich sehe es Euch an, und auch Schwester Angela klappert unten so fröhlich. Warum kommt sie nicht mehr?« Salomo klang traurig. »Nicht mehr zu mir?«
Weil du so ein Miesgram bist, dachte Jutta und murmelte etwas vom Gericht, wo sie aussagen müsste.
»Ich weiß so manches«, erklärte Salomo. »Man hört so dies und das, aber ich komme doch nicht mehr auf die Straße, also bin ich darauf angewiesen, dass Ihr mir mehr kundtut. Vielleicht könntet Ihr Euch bequemen, etwas freundlicher oder wenigstens gesprächiger zu sein, Schwester Jutta?«
Auch das noch, dachte Jutta. Beschwere dich bloß bei der Magistra.
»Seid Ihr mir gram, weil ich Euch noch nicht das Schachzabel gezeigt habe?«, mutmaßte Salomo.
»Das was?«
»Hat es Schwester Demudis nicht berichtet?«
Unwillig wiederholte Jutta lauter, weil er es nicht verstanden zu haben schien: »Das was?«
»Schau dort, die Figuren auf dem Tisch mit dem Brett.« In Salomo kam Leben. »Hilf mir, mich dorthin zu begeben, und setze dich gegenüber.«
Mit einem schweren Seufzer tat Jutta, was Salomo befohlen hatte.
»Also gut, schau her. Diese ersten hier, das sind die Bauern, die gehen einen Schritt vor. Hier, die Bischöfe, sie ziehen drei Schritte in die Schräge, die Ritter, sie springen auf ihren Pferden um die Ecke.«
»Und wozu das Ganze?«
»Wenn dort, wo du hinziehst, einer der anderen Seite steht, dann, wumm, ist er weg. Wie im Krieg geht es darum, den König zu schnappen, dann ist die Schlacht vorbei, und du hast gewonnen. Lass es uns erproben.«
Nach kurzer Zeit war Jutta ganz ins Spiel vertieft. Sie machte viel falsch und lachte mit Salomo zusammen über ihre Ungeübtheit.
»Du bist mir genauso willkommen wie Schwester Demudis«, sagte Salomo. »Obwohl es schön wäre, wenn sie auch mal wieder vorbeischauen würde.«
Was für ein netter Alter!, dachte Jutta und atmete kräftig durch. Schwester Demudis, du kannst gerne meinen Alten übernehmen.
*
Köln, Predigerkloster, am Vormittag des 16.2.1327
Demudis versuchte, mit den Augen Verbindung zu dem Grafen aufzunehmen, und blickte, als dies ihr nicht gelingen wollte, hinüber zu Bruder Hermann. Er weiß die Wahrheit, war sich Demudis nun sicher.
Bruder Johannes klopfte mit den Knöcheln der rechten
Weitere Kostenlose Bücher