Demudis
lässt, weil wir erlauben, wie in unserer Mitte die Keuschheit mit Füßen getreten wird. Das aber sind, wie kein Zweifel aufkommen kann, die kupplerischen und schwatzhaften Beginen, die sich anheischig machen, zu leben wie die Nonnen, es aber nicht sind. Was meint ihr, was herauskommt, wenn der Löwe wollte wie eine Taube sein? Wenn der Wolf meinte, ein Lamm zu sein? So aber halten sie es …«
Wilhelm war zufrieden. Er schrieb und schrieb und vergaß alles um sich herum. Er verfasste eine Predigt, die ihm wie der brennende Busch selbst vorkam, wie das Donnergrollen des Rächergottes. Er sah das Volk vor sich, wie es andächtig den Worten von Bruder Hermann lauschen und sich erheben würde, um das Unrecht aus ihrer Mitte zu tilgen und dem Frühling zu erlauben, zu kommen und die Kälte abzulösen.
*
Köln, vor St. Ursula, am frühen Vormittag des 3.2.1327
Als der reich gekleidete Mann aus der Kirche St. Ursula, gleich hinter dem Predigerkloster, trat und einige Pfennige aus seinem Beutel nahm, streckte Angela rasch ihre frostgeplagten Hände aus und fing geschickt die Münzen auf, die wohl eigentlich für den Lahmen bestimmt waren, der vor Kälte bibbernd im Schnee hockte und dumpf vor sich hin stierte.
»Für eine heilige Jungfrau gebe ich gern. Bitte, betet nur fleißig für unser Seelenheil«, sagte der Mann.
»Das tun wir mit Inbrunst«, beteuerte Angela fröhlich. »Und wir müssen es, da die Pfennigspfaffen es versäumen.«
Der Mann wendete sich an sein Weib. »Ja. Kommt es dir nicht auch oft so vor, dass unser Pfarrer Franz auf dem Ohr Gottes ziemlich taub ist?«
»Du sagst es«, bestätigte sie.
»Geht doch wie wir zu den Predigern«, hakte Angela schnell ein. »Sie haben immer ein offenes Ohr.«
»Und einen offenen Geldbeutel«, murmelte der Lahme.
Der reich gekleidete Mann hatte es anscheinend nicht gehört oder beachtete es nicht, jedenfalls sagte er zu seinem Weibe: »Wir werden es gnädig erwägen.« Dann gingen die beiden.
Angela aber spürte, es sei doch wohl ein Unrecht, dass sie, die zwei starke und gesunde Hände hatte, um damit zu arbeiten, den anderen Bettlern, den Lahmen, den Blinden und den Kranken, die Almosen vor der Nase wegschnappte. Sie reichte die Pfennige weiter an den Lahmen.
»Vergelt’s Euch Gott«, sagte er und lächelte selig.
Darauf achtete Angela nicht, denn sie sah einen jungen Burschen, den sie vor dieser Kirche schon öfter getroffen hatte. Er hatte sich ihr stets genähert, um ihr und niemand anderem ein paar Pfennige zu geben. Sie verfolgte ihn mit den Augen. Doch heute machte er einen weiten Bogen um sie herum. Sie spürte einen Stich im Herzen.
Als hätte sie ihn mit ihren Blicken gefangen genommen, kehrte der Bursche zurück. Er stellte sich vor sie und wurde rot. Angela sah, wie Schweißperlen auf seine Stirn traten. Ach, wie liebreizend er doch ist!, schmachtete sie. Der Bursche war nicht größer als sie, oder vielmehr war sie fast so groß wie er.
»Verzeiht, ehrwürdige Schwester«, sagte er. »Ich habe nichts mehr, was ich mein Eigen nenne.«
»Euer guter Wille und dass Ihr meiner gedacht habt«, sagte Angela artig, »soll mir dann Lohn genug sein.«
»Ihr müsst wissen, ich bin Schuster«, sagte der Bursche und kratzte sich verlegen am Kopf. »Zwar braucht in diesen ach so garstigen Zeiten der Kälte jeder gutes Schuhwerk, aber keiner kann es bezahlen.«
»Wie schade«, sagte Angela und machte einige Schritte auf den Burschen zu. Dabei musste sie vorsichtig über den Lahmen am Boden steigen. »Und welcher Art verfahrt Ihr nunmehr?«
»Na ja«, antwortete der Schuster und machte nun auch einen Schritt. »Ich kann die armen Leute ja nicht mit löchrigen Schuhen herumlaufen lassen, wo Wind, Kälte und Schnee ungehindert durchdringen.«
»Ihr helft für Gotteslohn aus, wenn Not herrscht?«, fragte Angela beeindruckt. Langsam schlenderten sie jetzt Seite an Seite auf den Hundsrücken zu.
»Manches Mal ja, manches Mal nein«, antwortete er.
»Wie entscheidet Ihr das?«
»Ob jemand …« Der Schuster zögerte und schien zu überlegen. »Ob mir jemand gefällt oder nicht. Ein guter Christ ist.«
Angela sah den Schuster von der Seite an. Er hatte ein weiches Gesicht, ebenmäßig und hell. Kräftiges braunes Haar zierte seinen Kopf, und sie vermutete breite Schultern unter seinem Kleid. Er gefiel ihr. »Wie heißt Ihr?«, fragte sie.
»Michel.«
»Ich bin Schwester Angela aus dem Konvent der Bela Crieg in der Stolkgasse.«
»Ah, darum
Weitere Kostenlose Bücher