Demudis
elften Finger mit der linken Hand den Weg. Sie lehnte sich an die Wand. Ein Haken, der dort herausragte, drückte sie, und sie rückte mit der Schulter zur Seite. Michels Bewegungen waren Angela nicht unangenehm. Es war wie stets, dachte sie, bis zum Kuss konnte sie es nicht abwarten, und danach war es ihr einerlei. Sie erhaschte einen Blick auf sein Gesicht und dachte: Ich tue ein gutes Werk. Es ist schon das zweite gute Werk heute. Aber für den Empfang meines himmlischen Bräutigams muss ich meinen Schoß besser bereiten.
Michel erlaubte sich ein leises Stöhnen, und Angela strich ihm wieder durchs Haar, als es an der Tür polterte. Jemand streckte den Kopf herein.
»Oh, ich sehe, ich komme zur unrechten Zeit«, sagte der Mann.
Dann sagte er: »Die Beginen«, schüttelte den Kopf und ging wieder.
Auch Angela wandte sich zum Gehen.
»Werdet Ihr … wiederkehren?«, fragte Michel bang.
»Nein«, sagte Angela bestimmt.
*
Köln, Barfüßerkloster, am Vormittag des 3.2.1327
Es war bei der Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi, dass Hanß das Unrecht deutlich zu Bewusstsein kam, an dem er mitzuwirken sich hatte hinreißen lassen. Er schmeckte nämlich nicht die Süße des Herrn, sondern bloß fades Brot und schalen Wein. Das war immer das untrügliche Zeichen dafür, dass etwas nicht stimmte. Er beendete die Messe, indem er die Worte sprach, die jede Bedeutung verloren zu haben schienen. Hatte er sich doch vom Erzbischof erpressen lassen, sich wider sein Gewissen an der Verschwörung gegen Meister Eckhart und die Beginen zu beteiligen. Der Herr aber verlangte Milde auch den Irrtümern gegenüber, die Eckhart unzweifelhaft begangen hatte und weiter begehen würde. Anstatt sich zu besinnen und der Erpressung durch den Erzbischof mannhaft zu widerstehen, hatte er wie ein von Wein und Bier benebelter Trunkenbold Bruder Dirolf und nebst ihm Bruder Agelomus damit beauftragt, die Anklage gegen Meister Eckhart vorzubereiten. Warum allerdings musste Meister Eckhart derart unchristliche Thesen verbreiten? Ja, es war richtig, ihn in die Schranken zu weisen! Wie nur konnte das geschehen, ohne in die dunklen Machenschaften des Erzbischofs verstrickt zu werden? Hanß sah keinen Ausweg.
Er beschloss, bar jeden Verzuges sich zur Reise zu gürten und nach Mainz, dieser goldenen Stadt, zu ziehen. Er würde beim ehrwürdigen Vater Erzbischof Matthias beichten. Er hatte ihn kennen gelernt, kurz nachdem er vor zwei Wintern zum Abt gewählt worden war. Der Orden hatte ihn zur Versammlung nach Mainz entsandt, der Erzbischof Matthias vorsaß. Zu ihm konnte er aufschauen, denn er vereinigte Weisheit und Güte, ganz anders als Heinrich IL von Virneburg in Köln. Hanß erinnerte sich daran, wie er zum Abt geworden war. Erzbischof Heinrich wütete hasserfüllt unter den Frommen, als sei er ein angestochener Sarazene. Gram übermannte Hanß, weil ihm in den Sinn kam, wie er über die guten Brüder und Schwestern des freien Geistes vor dem Erzbischof gesprochen hatte. Es war gefährlich, sich zu ihnen zu bekennen. Er hatte sie verleugnet wie der Apostel den Herrn. Es war eine Schande, eine Schmach der Feigheit, sich selbst zugefügt … Ellikint und Mentha. Beide ähnelten seiner Mutter, die eine in jüngeren, die andere in späteren Jahren. Hanß musste das Bild seiner Mutter verscheuchen. Zwei, Ellikint und Mentha, hatte er retten können, mehr nicht. Immerhin, jede einzelne christliche Seele wog mehr als alles Gold der Welt. Ellikint war Hurenmutter geworden, sei’s drum, jedenfalls lebte sie, und Mentha Begine im Konvent der Bela Crieg bei dem Predigerkloster. Gerührt von seinem Mut, den er im Dienste des Herrn und ungeachtet der Gefahr schärfster Bestrafung durch den Erzbischof gezeigt hatte, hatten die Brüder ihn zum Abt erwählt. Damals war ich noch mutig, dachte Hanß zerknirscht, aber heute? Heute muss ich für die Brüder sorgen, und alle guten Geister haben mich verlassen. Bruder Dirolf und Bruder Agelomus bereiten die Anklage gegen den Meister der Prediger vor, der in vielerlei Hinsicht nichts anderes sagt als die Brüder und Schwestern des freien Geistes, nur ein wenig vorsichti ger: nämlich dass der gute Christ, ganz eins mit dem Herrn, nicht fehlen kann und sich in dessen Werken, mögen sie auch den anderen als böse oder schlecht erscheinen, der blanke und reine Wille Gottes ausdrückt. Aber musste er denn, um zu diesem überaus lauteren Ergebnis zu kommen, die ganzen hässlichen Werke
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