Demudis
Handfläche ergoss. Es war ihm peinlich, und er wischte sich, ohne nachzudenken, über die Kutte, deren Weiß nun auch befleckt wurde. Wilhelm lief rot an.
»Unser Denker!«, rief Bruder Hinkmar fröhlich vom Pult nebenan. »Schaut mal, Brüder, so hat er sich in den Herrn versenkt, dass er nicht einmal bemerkt, wie er sich versaut.«
»Das nenne ich wahre Heiligkeit«, bestätigte Bruder Frulof höhnisch.
Wilhelm tat, als hörte er den Spott nicht, und zwang sich, auf das Pergament zu blicken.
Bruder Hermann hatte ihm bedeutet, eine Predigt in Diutisch zu verfassen, mit der er, Bruder Hermann, den Gläubigen von Köln die Verwerflichkeit des Meisters und der Beginen würde kundtun können.
Wie sollte er beginnen?
Wilhelm fiel eine der unvergleichlichen Predigten ein, die er einmal von Meister Eckhart vernommen hatte. Die ging von dem Schriftwort aus: »Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, damit wir durch ihn leben sollen.«
Wilhelm schaute sich um. Er wusste, wie neugierig die Brüder waren. »Pass auf, dass niemand davon erfährt«, hatte ihm Bruder Hermann eingeschärft. Wilhelm beschloss, um die Geheimhaltung zu gewährleisten, so vorzugehen, dass das Schriftbild aussehen würde, als würde man es im Spiegel betrachten. Das fiel ihm nicht schwer. Er konnte es sich nicht erklären, aber als er das Schreiben gelernt hatte, wollte er stets die falsche, die linke Hand benutzen, was natürlich unmöglich war. Zu Recht hatte ihn sein Lehrer, Bruder Giselbert von den Aachener Barfüßern, dafür ge züchtigt, vielmehr nicht ihn, sondern seinen Körper, damit dieser seinem Geist gehorchen möge. Als er dann den Griffel in die richtige, die rechte Hand genommen und die Buchstaben in die Wachstafel geritzt hatte, so tat er dies in der Art, dass sie spiegelverkehrt waren. Es hatte lange gedauert, bis er die angemessene Schreibweise lernte. Gleichwohl konnte er, wann immer er wollte, zu der alten schlechten Gewohnheit zurückkehren. Nun erwies es sich als Gabe! Niemand würde herausbekommen können, was er da niederlegte. Alles würde ein Geheimnis bleiben. Die Weisheit der göttlichen Vorsehung war wahrhaft unerschöpflich.
Wilhelm begann, indem er an die Predigt anknüpfte, die er letztens vom Meister gehört hatte. »Wenn nun ein reicher König wäre, der eine schöne Tochter hätte, die er eines armen Mannes Sohne zur Frau gäbe, würden alle, die zu seinem Geschlechte gehörten, davon erhöht und gewürdigt.«
Ich kann es wie der Meister selbst, dachte Wilhelm nach diesen ersten Worten freudig und schrieb weiter: »Nun spricht der Meister: Gott ist Mensch geworden, davon ist das ganze Menschengeschlecht erhöht und gewürdigt worden. Darum mögen wir uns wohl freuen, dass Christus, unser Bruder, aus eigener Kraft über alle Chöre der Engel aufgefahren ist und zur rechten Hand des Vaters sitzt. Der Meister spricht wahr. Aber was hülfe es mir, hätte ich einen Bruder, der ein reicher Mann wäre, aber ich bliebe darüber ein armer Mann? Was hülfe es mir, hätte ich einen Bruder, der ein weiser Mann wäre, aber ich bliebe darüber ein Tor?«
Wilhelm geriet in Eifer. »Ich sage anderes und was darüber hinaus geht: Gott ist nicht allein Mensch geworden, sondern mehr: Er hat menschliche Natur angenommen.«
Er hielt inne. So weit, so gut. Das hatte er ja so oder so ähnlich vom Meister selbst vernommen. Wie sollte er nun den Zusammenhang knüpfen, um seine Aufgabe zu erfüllen? »Aber ich sage wahrheitsgetreu.« Indem er die Formulierung niederschrieb, die der Meister so gern gebrauchte, fühlte sich Wilhelm stark.
Er schrieb: »Wenn Er unsere Natur angenommen hat, müssen wir seine Natur annehmen, um nicht arm und töricht zu bleiben, sondern wie Er reich und weise zu werden. Und das wisst ihr mit großer Bestimmtheit, dass Er wie auch seine selige Mutter Maria sein ganzes Leben als Mensch über in Keuschheit und Gehorsamkeit seinem Vater gegenüber verbracht hat.«
Wilhelm sah sich in die Fußstapfen des Meisters treten und schrieb wieder, wie er es so oft beim Meister gehört hatte: »Ich sage anderes und Schwierigeres.«
Die Gedanken flogen ihm mit großer Leichtigkeit zu. »Wenn wir also unkeusch werden, so verleugnen wir Gottes Natur, die die Natur des Menschen geworden ist. Die Natur aber zu verlieren, bedeutet den Tod. Ihr habt richtig gehört: den Tod. Ihr alle vernehmt die tödliche Kälte, die Gott da draußen gegen uns wüten
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