Demudis
Oasterseye nicht gewachsen gewesen und musste im Kampfe, der sonder Frage offen und gerecht gewesen war, sein Leben lassen. Salomo aber hieß die Gilde der Gewandmacher, für Demudis die Stiftung an den Beginenkonvent der Bela Crieg in der Stolkgasse aufzubringen, um die Schmach von den Gildebrüdern abzuwenden, die Theoderich Oasterseye über sie gebracht hatte, während die Schöffen ihn auf ewig aus Köln verbannten.
Die Erinnerungen drohten Demudis zu überwältigen. Ihre Sinne versagten ihr den Dienst. Sie torkelte und stürzte in eine tiefe Schneewehe. Jemand fing sie auf.
»Ergeht es Euch nicht wohl, ehrwürdige Schwester?«, fragte der Bursche.
Ein Bursche. Demudis zuckte zusammen, raffte ihren Umhang, um geschwind von dannen zu kommen. Keinen Dank. Keinen Gruß. Nur weg. Undeutlich vernahm sie noch, wie der Bursche ihr etwas über die stadtbekannte Unverschämtheit der Beginen nachrief und den Spottvers anstimmte:
»Beginen, Beginen,
nicht so heilig, als sie schienen.«
So schnell lief sie, dass die Schneeflocken nur so um sie her stieben. Durch die Herzogstraße, die Schildergasse kurz runter, dann an Sankt Agatha rauf, und schon war sie dort. In Sicherheit. Bei Salomo würde sie in Sicherheit sein.
Demudis drückte die Pforte auf, die nicht mehr richtig schloss. Eine Angel war entzweigegangen. Sie muss gerichtet werden, dachte Demudis, es dringt zu viel Kälte ein. Räuber würden sich hier nicht schadlos halten, denn es gab nichts mehr von Wert. Sie sollte mit Magistra Sela darüber sprechen. Vielleicht könnten sie ein wenig von den Almosen erübrigen, um bei einem Schmied eine neue Angel machen zu lassen. Anbringen könnte sie sie mit Schwester Godelivis. Die war stark genug dazu.
Die Stufen zu Salomos Stube knarrten. Demudis warf einen flüchtigen Blick in die ebenerdige Werkstatt. Die Tür zur Stube stand offen. Es war ein Jammer. Warum eigentlich sollten wir Salomo nicht fragen, ob Schwester Angela mit ihren geschickten Händen hier arbeiten dürfe?, fragte sich Demudis. Zuerst aber musste sie sich vergewissern, ob Schwester Angela dies überhaupt wollte und ob Magistra Sela es erlaubte.
Salomos Stube war kalt. Das Feuer, das sie von unten in der Küche erwärmte, glomm wohl kaum noch. Aber Salomo war in bester Verfassung. Demudis begrüßte ihn und stieg wieder hinunter. Sie heizte zuerst das Feuer tüchtig ein. Dann holte sie einen Eimer voll Schnee und stellte ihn neben das Feuer, damit er schmolz. Salomo hatte einen Brunnen hinter dem Haus, doch er war zugefroren. Sie packte das Brot aus, das sie mitgebracht hatte, und bereitete ihm ein Mahl. Ein wenig Käse, das wusste sie, war von gestern noch übrig. Seiner schlechten Zähne wegen schnitt sie winzig kleine Stückchen. Etwas von dem geschmolzenen Schnee schöpfte Demudis in einen Krug, den sie auf den Herd stellte. Mit dem Brot in der einen und dem Eimer Wasser in der anderen Hand kehrte sie zu Salomo zurück. Sie reichte ihm das Brot. Mit dem Wasser im Eimer wusch sie ihm die Füße und half ihm dann, sich frisch einzukleiden. Sie nahm sein Nachtgeschirr, das er, weil er nicht mehr die Treppe hinunter- und hinaufkam, auch tagsüber benutzte, und leerte es in der Grube neben dem Brunnen. Sie sah, dass sie dem Schyssfeger Bescheid geben musste, das »braune Gold«, wie es genannt wurde, mit der nächsten Nachtkarre abzuholen. Auf dem Weg zurück zu Salomo brachte sie aus der Küche das heiße Wasser mit nach oben. Aus ihrer Tasche im Kleid nahm sie ein kleines Fläschchen mit Theriak. Bruder Ansgar, der Physikus der Prediger, hatte es ihr gegeben, denn er meinte, es gäbe nichts Besseres zur Stärkung des allgemeinen Befindens als eben diese Arznei. Fünf Tropfen zählte sie in den Krug und hieß Salomo, das Wasser zu trinken. Schwester Lora, die sich damit auskannte, hatte ihr eingeschärft, dass nichts nötiger für die Alten sei, als genügend Wasser zu sich zu nehmen, damit sie nicht vertrockneten.
Nachdem sie ihm den Haushalt gerichtet hatte, setzten sie sich zum Zabel. Es war wichtig, dabei nicht ein Wort zu sprechen. Demudis genoss diese Zeit mit Salomo. Heute war sein Geist gewandt. Gleichwohl gelang es ihr, seinen König mit ihren Bischöfen und ihrer Königin einzukreisen und zu Fall zu bringen. Wenn sie gewann, dann mit den Bischöfen. Sie bewunderte die Figuren aus Elfenbein, die die Bischöfe in vollem Ornat zu Pferde zeigte, umgeben von fünf Pfaffen und vierzehn Rittern am Sockel. Obwohl die Figuren eindeutig
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