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Demudis

Demudis

Titel: Demudis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Blankertz
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Bischöfe waren, nannte Salomo sie hartnäckig »Richter«. Es war der wahrscheinlich einzige Überfluss, den sich Salomo je in seinem Leben erlaubt hatte, als er vor etlichen Jahren einem fahrenden Händler das wertvolle Schachzabel abkaufte.
    Salomo schaute auf seinen geschlagenen weißen König hinunter und schüttelte den Kopf. Dann hob er den Blick und sah Demudis lange an. Sie fühlte, wie stolz er auf sie war.
    Doch dann senkte sich Betrübnis auf sein Gesicht, und sie konnte es sich nicht erklären.
    »Was habt Ihr, Salomo?«, fragte Demudis unsicher.
    »Weißt du was, Schwester«, antwortete er und lehnte sich zurück, »Pfarrer Ottokar sieht ab und zu vorbei und schaut, ob ich noch am Leben bin oder ob er schon ein Geschäft mit meiner Beerdigung machen kann.«
    »Das ist sehr ungehörig von ihm«, sagte Demudis scharf. Sie fühlte, wie die Hitze des Zorns in ihr aufstieg und ganz von ihrem Körper Besitz ergriff. »Man wartet nicht auf den Tod von jemandem und hofft auf ein Geschäft!«
    »Na, na«, beschwichtigte Salomo nachdenklich. »Der Sensenmann klopft schon bei mir an. Du weißt das, ich weiß das, und er weiß das. Er muss auch sehen, wo er bleibt … Es ergeht ihm nicht wohl, hat wenig einzunehmen derzeit, die Leute sparen an der Seelsorge in diesen harten Zeiten.«
    »Recht geschieht es ihm!«, zischte Demudis. »Ihn soll der Teufel holen, den Pfennigspfaffen, der aufs Gold schielt, statt sich den Seelen zu widmen.«
    »Er ist ein heiliger Mann«, beharrte Salomo, »und ich freue mich, dass er für mich die Messe lesen wird.«
    Demudis spuckte verächtlich auf den Boden. Dann sprang sie auf und rief: »Das nennt Ihr heilig? Strengt Euren Kopf an! Wenn Ihr heilige Männer sucht, sucht bei den Predigern!«
    »Ja, ja«, sagte Salomo, aber Demudis merkte schnell, dass es keine Zustimmung war. »Es gibt Gerede über sie und die Beginen, übel riechendes Geschwätz.«
    »Woher wollt Ihr das wissen? Ihr tut keinen Schritt aus dem Haus und redet mit niemandem!«, wehrte Demudis ab.
    »Manch alter Genosse steckt hin und wieder den Kopf herein«, belehrte Salomo sie. »Außerdem höre ich die Wände reden. Es liegt in der Luft.«
    »Und Ihr schenkt dem Geschwätz, wie Ihr es nennt, Gehör?«
    Demudis war verletzt. »Was ist mit mir? Sorge ich nicht gut für Euch?«
    Salomo schüttelte verwirrt den Kopf. »Bitte, denk das nicht! Aber Pfarrer Ottokar sagt …«
    Demudis stand noch immer. Wie kann ich ihn nur zur Vernunft bringen, den störrischen Alten?, überlegte sie. Sie wandte sich zum Gehen und sagte scharf über die Schulter: »Ihr könnt wählen zwischen Ottokar, der nichts sehnlichster erwartet als Euren Tod, und mir, die ich Euer Leben pflege …«
    »Wählen?«, stammelte der Greis verzweifelt.
    Demudis machte kehrt, hockte sich vor ihn und nahm seine Hände in die ihren. Sie blickte ihm fest in die Augen und versuchte, ihrer Erregung Herr zu werden und ganz sanft zu sprechen. »Ich werde Euch einen Prediger senden, bei dem Ihr beichten könnt. Und wenn Ihr vom Herrn dereinst abberufen werdet, werden die Prediger Euch beerdigen und für Euch beten. Ihr könntet keine bessere Wahl treffen.«
    Salomo nickte schwach.
     
    *
     
    Köln, Predigerkloster, am Nachmittag des 3111327
     
    Wilhelm saß an seinem Pult im Scriptorium und überlegte, wie er es anpacken sollte, den Auftrag von Bruder Hermann auszuführen.
    Der neue Tag hatte begonnen wie stets. Und doch war etwas anders geworden seit der gestrigen Unterredung mit Erzbischof Heinrich sowie Abt Hanß von den Barfüßern. Wilhelm schauderte. Er konnte es immer noch nicht fassen, dass in dem ehrwürdigen Meister Eckhart ein widerlicher Lüstling sich verborgen hielt. Aufmerksam hatte er dessen Gesicht studiert. Langsam vermochte er die Fratze hinter dem unschuldigen Schein zu sehen. Es gab keine Frage mehr, wie er sich entscheiden musste, nämlich zugunsten seines Freundes. Was sonst hieße Freundschaft? Er stellte sich vor, wie die begehrenswerte Begine mit den prallen glutroten Lippen die tief zerfurchte Stirn des Meisters berührte, mit ihren feinen elfenbeinfarbenen Fingern durch sein schütteres, zerzaustes weißes Haar strich und seinen krausen Bart kraulte. (Was nahm er sich eigentlich heraus, einen Bart zu tragen, obgleich er doch Mönch war!, erboste sich Wilhelm.) Wie die Hand über die Kutte glitt und den Weg zwischen seine Schenkel suchte.
    Versonnen spielte Wilhelm mit der Feder, bis er bemerkte, dass sich die Tinte in seine linke

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