Demudis
brechen. Ich kann dich ihm noch nicht melden, denn die Totenmesse ist gerade im Gange. Komm mit in die Kapelle.«
Irmgard führte Demudis in eine dicht mit Trauergästen gefüllte Kapelle.
»Dort der Graf«, flüsterte Irmgard und wies auf einen stattlichen Herrn. »Links vom Grafen siehst du Odilia, die erstgeborene Tochter, die Gräfin, da er keine Frau mehr hat. Rechts von ihm Carita, bei ihrer Geburt starb die Gräfin vor dreißig Jahren, neben Carita Nikolaus, der nächste Graf.«
»Es gibt dort zwei Särge«, stellte Demudis verwundert fest. Die Deckel waren geöffnet, doch die Särge standen so, dass Demudis nicht hineinblicken konnte.
»Der Sarg rechts ist leer. Er dient als Zeichen für Guta, eine Begine …«, erklärte Irmgard leise.
Demudis fing an, still zu weinen.
Irmgard bemerkte es. »Du kennst sie?«
»Sie war meine Schwester in Christo.«
»Ah ja, Oswald vom Tor hat gesagt, du seist aus Köln«, entsann sich Irmgard.
»So ist es.«
»Morgen will er dorthin aufbrechen«, erzählte Irmgard weiter. »Vielleicht kannst du mitreiten. Der Graf ist, wie ich dir gesagt habe, sehr großzügig.«
»Sie war seine … Konkubine?« Demudis wollte ganz sicher gehen, dass sie es richtig verstanden hatte.
»O ja. Er hätte sich gern mit ihr vermählt.« Irmgards mitleidiges Gesicht nahm einen verträumten Ausdruck an. »Aber sie wollte nicht.«
»Sie wollte nicht?«
Irmgard kicherte unsicher. »Sie sagte, das würde die Minne zerstören.«
Demudis’ Bild war zum zweiten Sarg gewandert, der etwas abseits stand. Ein Weib, das Demudis für eine Bäuerin hielt, beugte sich über ihn. Zu ihrem Erstaunen gewahrte sie Anna in ihr.
»Warum weint … Anna an dem anderen Sarg?«
»Oh, du kennst Anna?«, Irmgard wunderte sich. »Im Sarg liegt ihr …« Demudis hatte den Eindruck, Irmgard sei verwirrt und wisse nicht genau, wie sie es sagen sollte. »… ihr … Bruder. Ich weiß nicht recht. Für uns ist er immer ihr Bruder gewesen. Aber sein Vater Seifried, Gott sei seiner Seele gnädig, soll gar nicht sein Vater gewesen sein, sondern ein hoher Herr.«
»Er hat … das Zeitliche gesegnet?«
»Wer? Seifried. Ja, er ist heimgegangen, vor zwei Wintern.«
»Ich meine den im Sarg, Martin, den Sohn.« Demudis konnte kaum fassen, dass der Gedanke, den sie nur als Möglichkeit im Kopf erwogen hatte, grausige Wirklichkeit geworden sein sollte. Graf Walram musste Martin für den Mörder von Schwester Guta gehalten haben! Fieberhaft überlegte Demudis, ob es dafür gute Gründe gäbe oder ob sie im Laufe ihrer Nachforschungen auf etwas gestoßen war, das Martin entlastete. Denn sie hatte ja festgestellt, dass es ziemlich einfältig von ihm gewesen wäre, als Mörder der Konkubine des Grafen in dessen Herrschaftsbereich zurückzukehren.
»Graf Walram …« Irmgard zögerte. »Es war im Zorne. Du musst wissen, dass Martin das Erbe eines großen Herrn antreten wollte. Der hohe Herr, dessen Sohn er war, war verstorben. Also hätte er dazu das Zeugnis seiner Mutter gebraucht. Als sie es ihm verweigert hat, hat er sie erschlagen. Erschlägt man seine Mutter?«
Wenn Demudis nicht schon gewusst hätte, was vorgefallen war, hätte sie den verworrenen Bericht von Irmgard nichts entnehmen können. Aber so war es ihr möglich, es sich zusammenzureimen, und sie fragte: »Wie nun ist er zu Tode gekommen?«
»Als der Graf es erfuhr. Martin kam zurück, und bumm!« Irmgard hatte offenbar Mühe, ihre Stimme in angemessener Weise gedämpft zu halten. Sie führte die rechte Faust auf die linke Handfläche, aber bremste den Schlag noch rechtzeitig, um ein lautes Geräusch zu vermeiden.
»Er bahrt den, den er für den Mörder seiner Buhle hält, neben ihr auf?«
»Er ist sehr großzügig, Graf Walram, wie ich gesagt habe. Außerdem ist Martin der Sohn seiner geliebten Guta gewesen.«
»Wie hat er davon erfahren?«
»Was erfahren?« Irmgard schien den Faden verloren zu haben.
»Dass Martin Gutas Mörder ist«, drängte Demudis zur Antwort.
»Aha«, machte Irmgard. »Durch seinen Sohn.«
»Durch seinen Sohn?«, überlegte Demudis. »Nikolaus, sagtest du, heißt er? Was weiß denn der …?«
»Nein, den anderen, den Bastard.«
Demudis stutzte. »Welchen Bastard?«
»Wir waren auch erstaunt, denn wir wussten nichts davon … und nun will der Graf den Bastard als seinen Sohn anerkennen.«
»Er hat doch einen rechtmäßigen Sohn, warum macht er das?« Ihre gelassene Frage war nur gespielt, denn in Demudis brodelte es. Wenn der
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