Den du nicht siehst
Polizistin saß neben ihr und hielt ihre Hand. Knutas grüßte – er kannte die Kollegin flüchtig.
Cecilia Ångström mochte um die Fünfundzwanzig sein, schätzte Knutas. Sie schaute ihn mit leerem Blick an. Ihr Gesicht war tränenüberströmt.
Knutas stellte sich vor und nahm ihr gegenüber Platz.
»Können Sie erzählen, was passiert ist?«
»Na ja, Gunilla wollte mich heute besuchen. Wir wollten zusammen Mittsommer feiern, in meinem Ferienhaus in Katthammarsvik. Sie wollte direkt nach dem Frühstück losfahren. Als sie um zwölf Uhr noch nicht aufgetaucht war und sich auch nicht gemeldet hatte, wurde ich nervös. Ich habe alle ihre Nummern angerufen, aber sie war nicht zu erreichen. Und da habe ich beschlossen, herzufahren.«
»Wann waren Sie hier?«
»Das muss so kurz vor eins gewesen sein.«
»Und was ist dann passiert?«
»Die Tür zum Atelier war nur angelehnt, und da bin ich hineingegangen. Ich hab sie sofort gesehen. Sie lag auf dem Boden. Und überall war Blut.«
»Was haben Sie gemacht?«
»Ich bin hinausgestürzt, habe mich ins Auto gesetzt und die Türen verriegelt. Dann hab ich mit meinem Mobiltelefon die Polizei angerufen. Ich hatte Angst und wollte bloß weg von hier, aber sie sagten, ich müsste bleiben. Nach etwa einer halben Stunde kam dann die Polizei.«
»Haben Sie irgendwen gesehen?«
»Nein.«
»Ist Ihnen sonst irgendetwas aufgefallen?«
»Nein.«
»Wie gut haben Sie Gunilla gekannt?«
»Ziemlich gut. Wir haben uns vor ungefähr zwei Monaten kennen gelernt.«
»Und Sie wollten gemeinsam Mittsommer feiern, nur Sie beide?«
»Gunilla steckte mitten in einer großen Auftragsarbeit. Sie hatte in den letzten Wochen ungeheuer viel gearbeitet und wünschte sich nur noch Ruhe. Und mir ging es genauso. Deshalb hatten wir uns für eine gemeinsame Mittsommerfeier entschieden.«
»Wann haben Sie zuletzt mit ihr gesprochen?«
»Vorgestern. Sie wollte mich gestern Abend anrufen, aber das hat sie nicht getan.«
»Wissen Sie, ob Gunilla gestern etwas vorhatte oder mit jemandem verabredet war?«
»Nein. Sie wollte den ganzen Tag und auch am Abend arbeiten.«
»Wissen Sie, wo wir ihre Angehörigen finden können? Eltern? Geschwister?«
»Ihre Eltern leben nicht mehr. Sie hat einen Bruder, aber wo der wohnt, weiß ich nicht. Hier auf Gotland jedenfalls nicht.«
»Hatte sie einen Freund?«
»Nein, meines Wissens nicht. Sie war noch nicht so lange hier. Sie hatte viele Jahre im Ausland verbracht. Sie ist erst seit Januar wieder in Schweden, glaube ich.«
»Ich verstehe.« Knutas strich über Cecilia Ångströms Arm und bat seine Kollegin, sie ins Krankenhaus zu fahren.
»Wir sprechen später weiter«, sagte er. »Ich melde mich.«
Er verließ die Küche und drehte eine Runde durch das Haus. Der Mut verließ ihn, als er aus dem Fenster schaute. Keine Nachbarn, so weit das Auge reichte. Das Wohnzimmer war geräumig und hell. Bunte Gemälde hingen an den Wänden. Er ging die Treppe hoch und betrat das Schlafzimmer. Großes, einladendes Bett. Daneben ein offenbar leeres Gästezimmer. Ein Arbeitszimmer, ein großes Badezimmer und noch ein Wohnzimmer.
Er entdeckte nichts Bemerkenswertes. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Keine Beschädigungen oder Zerstörungen, soweit er sehen konnte. Sohlman würde sich das Haus später noch vornehmen, und deshalb achtete Knutas sorgfältig darauf, dass er nichts berührte.
Außer dem Wohnzimmer befand sich im Erdgeschoss ein Esszimmer neben der Küche mit dem offenen Kamin. Ein weiteres Schlafzimmer und noch ein Zimmer, das nur Regale voller Bücher und einen großen Lesesessel enthielt.
Karin Jacobsson trat in die Türöffnung.
»Komm her, Anders«, rief sie atemlos. »Wir haben etwas gefunden.«
Noch fünf Minuten bis zum Schulschluss. Nach dem Unterricht ging er immer direkt nach Hause. Er lief. Rannte. Den Haustürschlüssel an einem Band um den Hals. Da seine einzige Chance, den Verhassten zu entgehen, darin bestand, sich einen so großen Vorsprung zu verschaffen, dass sie ihn nicht mehr einholen konnten, begann er schon mehrere Minuten vor Ende der letzten Stunde mit den Vorbereitungen. Vorsichtig packte er seine Sachen zusammen. Klappte leise Bücher und Hefte zu. Steckte den Bleistift in eine Gummischlaufe in seinem Federmäppchen, den Radiergummi in eine andere. Dabei starrte er die ganze Zeit die Lehrerin an, die nichts bemerken durfte. Langsam zog er den Reißverschluss des Mäppchens zu. Er hatte das Gefühl, dabei einen
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