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Den ersten Stein

Den ersten Stein

Titel: Den ersten Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elliott Hall
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verborgen gewesen war. Quer über die Wand waren mit Pykes
     Blut die Worte: »WIR SIND HIER« geschrieben. Ich taumelte und hielt mich am Schreibtisch fest. Die Sonne in meinem Kopf schob
     all meine Gedanken zu den Ohren hinaus. Ich konnte nicht denken, konnte nicht verstehen, wie er den ganzen Weg aus Queens
     gerade rechtzeitig hierhergekommen war, um zu sterben.
    Pyke oder sein Mörder hatten Unterlagen auf dem Schreibtisch verstreut. Ich nahm etwas in die Hand, das wie Bruder Isaiahs
     Terminplan aussah. Darin standen Gebetsfrühstücke, Predigten und Treffen mit verängstigten, kriecherischen Politikern, Termine,
     die er nun niemals wahrnehmen würde. Den Inhalt einer anderen Mappe brauchte ich nicht zu lesen. Sie enthielt eine Kopie der
     Akte des
Kreuzzugs
über Jack Small. Es gab noch andere Papiere, aber ich konnte sie nicht lesen. Die Buchstaben hüpften ständig hin und her und
     weigerten sich, in ihren Zeilen auf der Seite zu bleiben.
    Pyke war durch einen einzigen Kopfschuss ums Leben gekommen. Es war nicht viel Blut da, und der Schädel war fast unzerstört,
     es musste also ein kleines Kaliber gewesen sein. Ich versuchte, in seine Taschen zu schauen, aber meine Finger spielten nicht
     mit. Alle Anweisungen, die ich meinem Körper gab, wurden durch das Kaleidoskop meines Amok laufenden Gehirns gefiltert, und
     was herauskam, war immer wieder eine Überraschung.
    Ich konnte nicht denken, aber das war mir jetzt egal. Alles war tausendmal heller, erleuchtet durch die Sonne in meinem Kopf.
     Der Fall und seine offenen Fragen kamen mir unglaublich fern vor, die Alltagssorgen einer Ameisenkolonie. Ich befand mich
     im Mittelpunkt einer großen, warmen Stille. Ich wollte nichts und war mit allem glücklich. Durchs Fenster sah ich einen Spatz
     vor der tobenden Sonne. Ich dachte, er würdeverbrennen – die Sonne war so nah, dass ich sie beinahe berühren konnte   –, doch er flog einfach vorbei. Ich streckte die Hand nach beiden aus.
    Ich lag auf dem Boden. Meine Hand suchte mein Handy und verärgerte mich damit, dass sie meine Taschen abtastete. Ich versuchte,
     ihr den Befehl zum Aufhören zu geben, aber sie gehorchte nicht. Dann fand sie doch das Handy, wählte und wählte noch einmal.
     Ich hörte Iris’ Stimme, schön und misstrauisch wie die einer Wildkatze.
    Worte kamen aus meinem Mund. Ich hörte die Adresse zwischen ein paar flehenden Bitten. Dann wiederholte ich den Namen meiner
     Medikamente, wieder und wieder wie einen Zauberspruch. Von irgendwoher antwortete sie mir. Ich fing den Blick von Pykes totem,
     glasigen Auge auf, versuchte, Pyke eine Frage zu stellen, aber es war zu spät.
    Der Sturm war da.

Samstag
    Der fensterlose Raum, den ich sah, als ich die Augen aufschlug, lag nicht in Pykes Haus. Ich war auf einem Kingsize-Bett festgebunden
     und trug nur ein Unterhemd und einen Schlafanzug, den ich nicht kannte. Einer meiner Feinde hatte mich nun schließlich erwischt.
     Ich fragte mich, welcher unbezeichnete Ort hinter den Wänden liegen mochte: ein Militärstützpunkt vielleicht oder ein Behelfsflugplatz,
     der keinen Namen hatte. Irgendwo lag ein Formular mit meinem Namen darauf, auf dem ein großer, roter Stempel mich zum feindlichen
     Kämpfer erklärte. Es würde in einem Aktenschrank verschwinden, so wie ich an diesen finsteren Ort hier verschwunden war, wo
     der einzige Beleg für meine Existenz hinter Mauern aus Angst und Privilegien verborgen blieb.
    Mein Kopf pochte, und alles tat mir weh. Ich fühlte mich, als hätte ich eine Badewanne voll selbstgebranntem Gin getrunken
     und wäre dann einen Marathon gelaufen. Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Während solcher Krampfanfälle hatte ich
     mich schon übel geschnitten und mir Knochen gebrochen. Wenn man bedachte, dass ich bei dem Anfall allein gewesen war, hatte
     ich Glück gehabt, dass ich mir nicht die Zunge abgebissen hatte.
    Ich prüfte meine Fesseln und suchte nach einer Fluchtmöglichkeit, bis ich begriff, dass ein Ort des Schreckens nicht nach
     Zimt riechen sollte. An der Wand hingen abstrakte Gemälde und ein gerahmtes Foto von Angkor Wat. Neben der angelehnten Tür
     stand ein Fernseher. Falls dies hier eine Zelle war, dann die sonderbarste, in der ich je gewesen war.
    Zu meiner Linken war ein kleiner Nachttisch, auf dem ein dicker, lächelnder Buddha thronte. Vor diesem standen drei vertraute
     Medikamentenfläschchen, und dort lag auch eine Spritze. Die einzige Möglichkeit, einen Anfall zu beenden,

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